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Nonnen

Nonnen

Titel: Nonnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Siefener
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Geschichten
sind die Flucht in eine Kindheit. War Ihre erste Leseerfahrung
eine Geistergeschichte? Ich könnte wetten, daß es so
war. Die erste Leseerfahrung ist die wichtigste. Und Ihr
unsinniges Festhalten an jenen Formen der Phantastik rührt
genau daher. Es ist der Versuch einer Rückkehr in die
Kindertage. Wenn Sie Ihre Geschichten ausspinnen, werden Sie
unbewußt an Ihre Kindheit erinnert, und die Geschichten
helfen Ihnen, sich zurück zu orientieren. Leugnen Sie es
nicht!«
    »Natürlich leugne ich es!«
    »Wenn Sie sich die Mühe machen, nur das zu sagen,
was Sie sagen wollen, werden Sie wahrscheinlich ziemlich gut
werden. Doch Sie müssen sich von dem Horror-Ballast
befreien. Und wenn Sie bemerken sollten, daß dann von Ihren
Geschichten nicht viel übrig bleibt, so werfen Sie sie weg.
In Ihren Erzählungen habe ich allerdings einiges gefunden.
Da ist zum Beispiel Das Grauen im Schacht, das ist
klassisch für Sie. Jemand sucht nach etwas, es tut sich ein
Rätsel auf, dieses wird gelöst, und am Ende steht eine
Katastrophe. Das ist infantil, wenn man es wörtlich nimmt.
Doch mir fällt auf, daß Sie oft Rätsel
benutzen.«
    Wie in der neuen Geschichte, fuhr es Benno durch den
Kopf. Ja, das stimmte wirklich. Als Junge hatte er sich immer
gewünscht, ein Rätsel zu finden und ein Abenteuer zu
bestehen. Als Junge… Er ließ den Verleger
weiterreden.
    »Und ich habe den Eindruck, daß Sie selbst das
Rätsel sind.« Er sprach die Worte breit, im
Bewußtsein seines Esprits. »Sie suchen nach sich
selbst oder nach etwas in Ihnen. Machen Sie diese Suche zum Thema
Ihrer Erzählungen. Ob das Sie zum gefeierten Star der
modernen deutschen Literatur macht, mag ich nicht vorauszusehen.
Auf jeden Fall aber käme es der Qualität Ihres Werkes
zugute, wenn Sie dabei auf eine Nabelschau in der Manier von
Handke und Botho Strauß verzichten. Nur wenige Autoren
können mit so etwas richtig umgehen. Ich denke, Sie
gehören zu diesen wenigen. Horchen Sie in sich selbst
hinein, und sollten Sie dabei feststellen, daß da nichts
ist, daß es keine Lösung des Rätsels gibt –
nun ja. Aber sogar das kann für den Leser faszinierend sein.
Verlegen Sie sich auf die psychische Seite Ihrer Kunst. Dann
können Sie alle dunklen Gänge fortlassen und sich
darauf konzentrieren, worum es Ihnen in Wirklichkeit immer geht
und gegangen ist. Das war es, was ich Ihnen ans Herz legen
wollte.«
    Benno war verwirrt. Nun gut, dann würde es eben kein Buch
von ihm geben. Das wäre auch besser so.
    »Mir ist noch mehr aufgefallen. Frauen kommen bei Ihnen
entweder gar nicht vor oder schlecht weg. Überhaupt zeichnen
sich Ihre Helden durch eine ungeheure Kontaktarmut
aus.«
    »Wollen Sie mich nun auch noch beleidigen?«
    »Verstehen Sie mich doch richtig! In Ihnen ist der
Eiseshauch der Einsamkeit. Warum bearbeiten Sie das nicht
literarisch? Die Vereinsamung des Individuums in der modernen
Welt. Das gibt es zwar schon zuhauf, aber wenn gerade Sie sich
dieses Themas annähmen, wären wahrhaft phantastische
Ergebnisse zu erwarten, weil das bei Ihnen nicht bloße
Attitüde ist, sondern hautnah erlebte Wirklichkeit. Und
lassen Sie das mit den banalen Rätseln, solange Sie Ihr
größtes Rätsel, nämlich sich selbst, noch
nicht gelöst haben.«
    Nun war es aber genug! Benno stand auf, sagte in sarkastischem
Ton: »Ich danke Ihnen für dieses interessante und
aufschlußreiche Gespräch.« Dann ging er zur
Tür.
    Der Verleger machte sich nicht die Mühe aufzustehen,
sondern sagte hinter ihm her: »Bedenken Sie das, was ich
Ihnen gesagt habe. Sie könnten großartige Leistungen
erbringen, möglicherweise gar geniale. Doch Sie brauchen
Klarheit über Ihre Motivationen und vor allem über sich
selbst.«
    Dann war Benno aus der Tür getreten.
    Im dunklen Treppenhaus war er den Tränen nahe. So hatte
ihn schon lange niemand mehr fertiggemacht! Seit Kindertagen
nicht mehr. Seit Schultagen. Die Situation erinnerte ihn an die
Kämpfe mit Justus, seinem ärgsten Feind. Er war weitaus
intelligenter und agiler als Benno gewesen, der gegen einen
solchen Widersacher nie eine Chance gehabt hatte, und er hatte
Benno das Leben zur Hölle gemacht. Benno war ein
bereitwilliges Opfer gewesen, er bot sich förmlich an, da er
sich nicht wehren konnte, weder körperlich noch rhetorisch.
Die Bilder kamen wie eine Sturzflut. Justus über dem am
Boden liegenden Benno, Justus mit einigen Kumpanen, wie sie Benno

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