Nonnen
in der Toilette einsperrten und ihn dann als Schwänzenden
anschwärzten. Niemand hatte ihm geglaubt. Und dann das
hämisch grinsende Gesicht von Justus, als er Benno endlich
gönnerhaft wieder befreite… Und all die
Hänseleien. Aber das war vorbei, und es hatte keinen
Einfluß mehr auf sein Leben. Er hatte sich freigeschwommen.
Die schönen Erinnerungen überwogen. Seine Eltern. Seine
Bücher. Er stieg gedankenverloren die Treppe hinab und
bemerkte erst unten, wie schäbig sie war. Die Wände
bröckelten, die Tünche blätterte ab und legte den
Putz frei. Ein Bild schoß durch Bennos Kopf: Es war ein
verwesendes Gebäude, ein lebendes, atmendes, seine Bewohner
verschlingendes Haus. Daraus könnte man etwas machen, er
sollte es sich überlegen. Dann hätte dieser
zeitverschwendende Besuch wenigstens einen Sinn gehabt.
»Warum soll ich mich von einem solchen Waldschrat
fertigmachen lassen? Nun gebe ich erst recht nicht auf. Alle
großen Schriftsteller sind zu Lebzeiten unbekannt gewesen:
Kafka, Arno Schmidt und so viele andere kannten keinen
finanziellen Erfolg. Warum soll ich da eine Ausnahme sein? Ich
werde es euch allen zeigen, eines Tages…«
Eine Wohnungstür öffnete sich, und ein alter Mann
schaute Benno verwundert an. Benno wurde rot, biß sich auf
die Zunge, so stark, daß er den Geschmack von Blut
spürte. Schnell sprang er die wenigen Stufen bis zum
Eingangsflur hinab, riß die Haustür auf und trat nach
draußen in die Stadt.
Er fuhr unverzüglich nach Köln zurück. Im Zug
ärgerte er sich weiter über die Unverschämtheit
des Verlegers. Der hatte über die dunklen Gänge
geschimpft, eines von Bennos Lieblingsmotiven. Nun gut, hier und
da hatte er ihnen Ausdruck verliehen, aber was der Verleger
daraus lesen wollte, war absurd. Als hätte Benno in diese
Motive Dinge hineingelegt, die eines völlig anderen
Ursprungs waren. Das war unrichtig. Hier ging es nur um seine
Phantasie; wahrscheinlich hatte der Verleger nicht genug davon,
oder er schrieb vielleicht selbst und beneidete Benno um seine
Originalität. So oder so ähnlich war es bestimmt!
Der Zug hielt.
Zu Hause setzte sich Benno vor die neue Geschichte.
»Ich will es ihm zeigen. Keine dunklen Gänge! Ich
werde ihm die Erzählung unter die Nase halten, und daran
werden seine begnadeten Interpretationskräfte erlahmen! Er
wird sie einfach veröffentlichen müssen!«
Mißmutig blätterte Benno in dem bereits
Geschriebenen. Was sollte daran eine Rückkehr in die
Vergangenheit sein? Und da fiel Benno etwas ein. Mit den Nonnen
verband er plötzlich eine Erinnerung. Es war erstaunlich,
daß ihm dies bisher nicht aufgefallen war, denn es war eine
schöne Erinnerung. Er träumte sich zurück.
Zurück in seine Kindheit. Es war Sonntag, und soeben
hatten sie am reichgedeckten Tisch gesessen und
gefrühstückt, sein Vater, seine Mutter und er. Er stand
auf, reckte sich, seine wohlige Schläfrigkeit war noch nicht
ganz verschwunden. Seine Mutter räumte das Geschirr ab,
begann zu spülen, und Benno schaute zu. Danach zog sie sich
um, und auch Benno durfte seinen Sonntagsanzug anlegen, in dem er
sich wie ein Erwachsener vorkam. Eine Verheißung. Als sie
vor die Tür traten, läuteten schon die Glocken der
nahen St. Anna-Kirche. Vor ihnen gingen alte Damen in schweren
Pelzen, obwohl es gar nicht kalt war. Die Kirche umfing sie mit
angenehmem Dämmer. Sie setzten sich in eine Bank im
Seitenschiff, seine Mutter und er. Vater hielt nichts von der
Kirche, er war daheim geblieben. Und vorn, in der ersten Bank,
saßen immer einige Nonnen aus dem nahen Franziskus-Hospital. Er erinnerte sich, es waren vier
gewesen. Dann zogen die Priester und die Meßdiener ein, das
Weihrauchfaß schwenkend. Hochamt. Er roch den Weihrauchduft
in der Erinnerung. Die folgende Stunde war er allein mit sich,
eingehüllt in den Weihrauch, in die Gesänge, in die
Gebete. Er war nicht mehr er selbst, stand neben sich und sah auf
sich hinab. Es war eine wundervolle Empfindung. Die schönste
Empfindung seiner Kindheit.
Sie zerriß.
Darum Nonnen? Hatte er unbewußt an diese Stunden
anknüpfen und die Gefühle zurückholen wollen, die
ihm damals das Wertvollste waren, das er besaß – noch
vor den Empfindungen, die die Bücher auslösen konnten?
Es war zumindest eine interessante Idee.
Weiter!
Der Friedhof Melaten. Nun, da gab es kein Rätsel. Es war
die Zeit seines Studiums gewesen, es wunderte ihn ein wenig,
daß er
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