Nonnen
herab,
während er über das jüngste Gericht und die
Höllenqualen der Sünder predigte, als meine er ganz
persönlich Benno – und nur ihn.
Er wachte auf.
Es war mitten in der Nacht. Er konnte nicht mehr einschlafen.
Er lag wach, bis der Wecker klingelte. Er wußte noch immer
nicht, was in diesem Tagebuch stehen sollte.
Er wußte es auch am Abend nicht, obwohl er sich den
ganzen Tag über Gedanken gemacht hatte. Er hatte kaum an
seinen Akten arbeiten können und seinen Vorgesetzten
angeschnauzt, als dieser etwas von ihm wissen wollte. Ohne sich
abzumelden, geschweige denn, sich zu entschuldigen, ging er
früher.
Benno kaute an seinem Kugelschreiber herum. Er empfand ihn
plötzlich als Waffe. Als Waffe, die nicht gegen die Welt,
sondern gegen ihn selbst gerichtet war. Er ließ ihn fallen
und döste vor sich hin.
Es war unwichtig, was in der Kladde stand.
Und doch war etwas vorgefallen.
Und er sah die Wörter.
Aber er konnte sie nicht niederschreiben. Alles in ihm
sträubte sich dagegen.
Er schleuderte den Stift gegen die Bücherwand, wo er wie
ein Pfeil zwischen zwei Bänden steckenblieb. Benno stand auf
und holte ihn zurück. Dann schrieb er weiter, und bald hatte
er sich selbst vergessen.
»MIT ZITTERNDEN FINGERN blätterte ich durch die
Seiten. Die erste Eintragung datierte von 1961. Ich begann zu
lesen.
Es waren nur kurze Schilderungen alltäglicher
Begebenheiten aus dem Altenheim, in der Hauptsache Berichte
über Mitschwestern. Und die Namen der drei anderen tauchten
immer wieder auf. Sie schienen enge Freundinnen gewesen zu sein.
Ein paar Sätze waren durch Unterstreichungen hervorgehoben,
sie lauteten zum Beispiel – wenn ich mich recht entsinne: Gott ist ein Feigling, oder Ich kotze auf den lieben
Heiland oder Der ganze Himmel ist eine Lüge. Dazwischen gab es Schilderungen von etlichen Streitereien. Ich
verstand nicht alles, schließlich überflog ich die
Seiten nur. Sie scheint ein rabenschwarzes Aas gewesen zu sein,
dachte ich bei mir, die möchtest du nicht in der Familie
gehabt haben.
Viele Eintragungen bestanden nur aus einem Satz, doch zum Ende
des Buches hin wurden die Bemerkungen ausführlicher. Meine
Erregung stieg, als ich Sätze las wie: Heute hat er uns
das Ritual beigebracht oder Wenn er nicht zu uns gekommen
wäre, hätten wir noch immer keinen Kontakt zur
Finsternis und ähnliches. Es waren Beschreibungen von
Zeremonien eingefügt, die nur zu deutlich machten, daß
die vier Nonnen sich recht weit vom wahren Glauben entfernt
hatten. So wie ich die Bruchstücke, die ich las, verstand,
war ein alter Mann in ihr Heim eingeliefert worden, in dem sie
den Schlüssel zur Sphäre des Teufels oder anderer
abscheulicher Kreaturen zu erblicken glaubten. Er unterrichtete
sie, und sie schienen ihn regelrecht anzubeten. Mir wurde
übel, als ich las, wie sie ein Huhn köpften und von
dessen Blut tranken. Schnell blätterte ich weiter. Doch
diese Rituale waren erst der Anfang. Die Nonnen waren der
Meinung, es geschafft und den Kontakt hergestellt zu haben. Aber
er gestaltete sich nicht so, wie sie es erwartet hatten. Irgend
etwas mißlang, wonach sie die Finger von ihren Versuchen
ließen. Aber es war zu spät. Wer einmal das Tor
aufgestoßen hatte, der konnte nicht mehr verhindern,
daß etwas in unsere Welt gekrochen kam. Sie versuchten, es
zu bekämpfen, doch vergeblich.
Hildemarga schrieb von den Räumen zwischen Raum und Zeit,
in der die Nachtmahre geboren werden, die um uns herum lauern.
Sie glaubte, daß sie nun Dinge sehen konnte, die den
meisten Sterblichen verborgen blieben. Und die Dinge – oder
was immer es war – fanden ihren Weg zu den
Beschwörerinnen. An einer Stelle hieß es, daß
sie gerade fieberhaft den Rosenkranz, das Vaterunser und das Ave
Maria beteten, um einer jener Kreaturen den Eintritt in unsere
Dimension zu verwehren, als eine weitere Schwester zufällig
die Zelle betrat, in der der Kampf stattfand. Sie hieß
Adelgundis. Sie sah noch ein wenig von dem, was vorgegangen war,
und halb von Sinnen vor Angst lief sie hinaus und hinterbrachte
sofort alles der Oberin.
Die Eintragungen schlossen mit schrecklichen Haßtiraden
gegen die Oberin. Es waren noch einige unbeschriebene Seiten in
der Kladde. Die letzte Notiz stammte vom 4.5.1975. Daher nehme
ich an, daß sich das Unglück kurz nach diesem Tag
ereignete.
Nun, wie ich Ihnen schon sagte, fand ich nicht die Ruhe, die
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