Nonnen
vollständig zu lesen.
Ich rannte mit dem Tagebuch zu dem Antiquar, der mich erstaunt
hinter seinen Brillengläsern ansah.
›Haben Sie etwas gefunden?‹ fragte er mit einem
zweifelnden Unterton in der Stimme.
›Ich habe Glück gehabt‹, sagte ich.
›Das hier ist es, was ich suchte.‹ Ich hielt ihm
das Buch entgegen. ›Ich will es kaufen. Was kostet
es?‹ Ich hatte keinen Preis darin gefunden.
Der junge Mann schaute mich von oben bis unten an, dann sagte
er: ›Nun, Sie werden verstehen, daß ein solches Buch
eine Rarität ist – aus kulturgeschichtlichen
Gründen und überhaupt.‹ Er blätterte es
kurz durch, aber ich glaubte zu bemerken, daß er des
Sütterlins nicht mächtig war. ›Ein
hochinteressanter Text‹, nuschelte er, ›und da
werde ich sehr leicht einen Kunden finden. Sie müssen
verstehen, daß auch der Preis der Bücher abhängig
ist von Angebot und Nachfrage. Hier wird es mit Sicherheit eine
große Nachfrage geben, sobald bekannt wird, daß es
diese Handschrift gibt. Ich kenne etliche Sammler, die
etliches…‹
›Wieviel?‹ unterbrach ich ihn. Sogleich wurde
mir klar, daß ich einen Fehler begangen hatte, indem ich
dem Antiquar zu erkennen gab, wie sehr ich hinter dem
Büchlein her war.
›Also, wenn es Sie so sehr interessiert, ist es bei
Ihnen bestimmt in guten Händen‹, sagte er.
›Und deshalb bin ich ausnahmsweise bereit, Ihnen das Buch
für weniger zu lassen, als ich es meinen Stammkunden
anzubieten gedachte. Sagen wir also: dreihundert
Mark.‹
Ich stand da wie vom Blitz getroffen. Mit einer solchen
Dreistigkeit hatte ich nicht gerechnet. Ich gehe nicht oft in
Antiquariate, aber ich wußte zumindest genug, um beurteilen
zu können, daß dieser Preis eine Frechheit war. Ich
hatte mit zwanzig bis höchstens fünfzig Mark
gerechnet.
›Das ist mir eigentlich zu teuer‹, sagte ich.
Ich hatte gar nicht soviel Geld dabei, und Sie wissen ja,
daß eine solche Summe bei unseren Gehältern nicht
gerade ein Pappenstiel ist.
Nach kurzem Zögern erwiderte der Antiquar: ›Bitte
verstehen Sie mich nicht falsch, aber jeder muß zusehen,
daß er über die Runden kommt und das Beste für
sich rausschlägt. Wenn Sie nicht zahlen können oder
wollen, wird es einer meiner Stammkunden erstehen, der den Preis
gern bezahlt, weil er weiß, was solche Raritäten wert
sind.‹
Ich versuchte es noch einmal: ›Können Sie mir
wirklich keinen Nachlaß gewähren? Möglicherweise
sind Sie gerade dabei, einen neuen Stammkunden zu
verlieren.‹
Der Antiquar schüttelte den Kopf. ›Bedaure. Leider
nicht. Ich bin bereits bis an die Grenzen des Möglichen
gegangen. Ich bin Geschäftsmann, keine
Wohlfahrtsorganisation. Entweder Sie kaufen das Buch zu dem
genannten Preis, oder Sie kaufen es nicht.‹
Am liebsten hätte ich ihn mit der Kladde verprügelt!
Da stand ich nun kurz vor dem Ziel, mein Rätsel zu
lösen, und wegen des Starrsinns dieses Herrn würde ich
es verpassen. Mehr noch: Die wenigen flüchtigen Blicke
hatten mir gezeigt, daß dort faszinierende
Ungeheuerlichkeiten zu entdecken waren! Mir ging es ja gar nicht
um den Sammlerwert, sondern wirklich um die Inhalte. Die waren
ganz und gar nicht belanglos. Da war der alte Herr Laux in einem
schweren Irrtum befangen gewesen. Wahrscheinlich hatte er nur die
ersten Blätter gelesen, die in der Tat nichts als Langeweile
enthielten. Aber dann…
Ich mußte das Tagebuch besitzen!
›Also gut‹, sagte ich. ›Ich werde das
Tagebuch kaufen, doch habe ich nicht soviel Geld dabei. Ich
möchte Ihnen eine kleine Anzahlung geben, wenn Sie mir
versichern, das Buch dann für mich zu
reservieren.‹
›Das läßt sich machen‹, sagte der
Antiquar. ›Sehen Sie, ich stelle es hier in die Vitrine
für die Raritäten, wo es auf Sie wartet, bis Sie die
Gesamtsumme bezahlt haben.‹ Und wie zur Bestätigung,
daß die Kladde das Vermögen wert sei, das er
dafür verlangte, nahm er sie behutsam auf und legte sie zu
den kostbar gebundenen Bänden in die alte englische Vitrine.
Ich zahlte an, und er gab mir eine Quittung. Dann ging ich nach
Hause.«
Welche Rituale waren das gewesen? Beinahe hatte Benno den
Eindruck, als wisse er genau, was er da schrieb. Aber da war eine
Barriere, die er unmöglich überwinden konnte.
Am nächsten Tag ging er überhaupt nicht ins
Büro. Er besuchte den Antiquar Grassteiner, der keine seiner
Erfindungen war.
»Was habe ich überhaupt erfunden? Vielleicht
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