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Nonnen

Nonnen

Titel: Nonnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Siefener
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davon schon Gebrauch gemacht hab! Moment, ich such
sie.‹
    Er verschwand hinter einem Vorhang und kehrte einige Sekunden
später mit federnden Schritten und einem zerknitterten
Zettel in der Hand zurück.
    ›Hans-Peter Müller, Antiquar, Liebigstr. 68. Steht
hier. Ist, glaub ich, in Ehrenfeld oder so. Brauchst du sonst
noch was? Tennis-Dress mit Boris-Becker-Aufdruck eventuell.
Spottbillig. Hab ich heute im Angebot. Weil du’s
bist.‹
    Ich schrieb die Adresse hastig auf, dankte und machte,
daß ich aus dem Laden kam.«

Sport! Welch ein Ekel! Der Sportunterricht war das schlimmste
gewesen. Da war er der Letzte gewesen, und Justus, wie auch sonst
immer, der erste. Und wie oft hatte Benno einen Ball mit voller
Absicht gegen den Magen oder den Kopf geworfen oder getreten
bekommen, so daß er vor Schmerzen nicht mehr hatte atmen
können. Er hatte sich furchtbare Rache geschworen, doch wenn
er sich recht erinnerte, war er nie dazu gekommen, sie
auszuführen.
    Es gab tatsächlich ein Antiquariat, das eines Tages
verschwunden war, und in seine kleinen Räume war eine
Sportmodenhandlung eingezogen. Bei dem alten Antiquar Höfs
in der Gertrudenstraße hatte Benno so manches preiswerte
Buch gekauft, so manchen Traum, so manche Flucht. Er hatte es
genossen, in dem winzigen Geschäft herumzustöbern, auch
wenn das Angebot wegen des Platzmangels nie groß gewesen
war. Wie enttäuscht war Benno gewesen, als er hörte,
daß das Antiquariat geschlossen werden sollte. Nun ging er
an dem Nachfolgeladen jedesmal mit gerümpfter Nase vorbei,
ja manchmal wurde er regelrecht wütend. Nichts was er
geschildert hatte, entsprang vollständig seiner Phantasie.
Alles war komponiert aus Erinnerungen, Gefühlen, Erlebtem
und Ersehntem. War er etwa wirklich kein großer
Schriftsteller? Hatte der Verleger recht? Waren das alles nur
Chiffren für seine Erfahrungen? Sollte er sich direkt und
ehrlich mit ihnen auseinandersetzen? Der Gedanke war Benno
zuwider. Sie konnten ihm keinen Spaß machen. Sie waren
trist und öd und grau. »Wie du selbst.« Nur sein
Schreiben erhöhte ihn.
    Liebigstr. 68. Das war seine Heimatadresse gewesen. Hort des
Glücks. Es war keine gute Wohngegend, aber es zählte
nur das, was man daraus für sich selbst erschuf.
»Jeder ist der Baumeister seiner inneren Welt, die
unendlich viel wirklicher und stärker ist als die
äußere Welt.« Aber nun sollte er sich von der
Vergangenheit endlich lösen, er sollte erfinden. Er hatte
damit begonnen, indem er den alten Antiquar in seine alte Wohnung
gesetzt hatte. Und es sollte weitergehen.
    Nichts mehr, was nun geschah, hatte einen Zusammenhang mit
seiner eigenen Situation. Nun ging es hinab in die
unvorstellbaren Geheimnisse der toten Nonnen, hinab in das, was
sie getan hatten.
    Und wieder sah er die Nonnen vorn in der Kirchenbank sitzen,
und eine drehte sich zu ihm um, und ihr Blick war nichts als
Bosheit. Weihrauchdünste nahmen dem kleinen Benno endlich
den Blick. Er kuschelte sich an den Lammfellmantel seiner Mutter
und hoffte auf das Ende des Gottesdienstes.
     
    »ZU HAUSE SUCHTE ich die Telefonnummer des Antiquars
heraus und rief ihn an. Seine Stimme war sehr schwach. Er hustete
viel und schnappte häufig nach Luft. Es war, als
spräche ich mit einem Toten. Ich hatte Mühe, ihm mein
Anliegen verständlich zu machen. Doch schließlich
verstand er, daß ich mich für ein bestimmtes Buch
interessierte. Er sagte, er wisse nicht mehr, was er alles
verkauft habe, er wisse kaum noch etwas aus der Zeit kurz vor
seinem Infarkt. Ich drang in ihn, er solle doch einmal
nachdenken.
    Alles, was ich daraufhin hörte, war eine alte weibliche
Stimme im Hintergrund, die rief: ›Peter, du sollst dich
nicht aufregen! Wer immer da am Telefon ist, wimmle ihn doch
endlich ab. Du weißt, was der Arzt gesagt hat. Daß du
dich schonen sollst. Nun mach schon Schluß!‹
    Er flüsterte in den Hörer: ›Ich weiß es
wirklich nicht mehr, und ich muß jetzt aufhören.
Wenden Sie sich bitte an Herrn Antiquar Grassteiner in Kalk. Er
hat mein gesamtes Lager aufgekauft. Möglicherweise ist das
Buch, das Sie suchen, noch dabei.‹
    ›Können Sie mir seine Adresse geben?‹
fragte ich. Doch da hatte er schon aufgelegt.
    Also durchblätterte ich erneut das Telefonbuch. Ich
merkte mir die Anschrift und nahm mir vor, seinem Geschäft
am nächsten Abend einen Besuch abzustatten.
    Immer weiter, immer weiter. Wie standen meine Chancen? Das

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