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Nonnen

Nonnen

Titel: Nonnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Siefener
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erwiderte: ›Wenn Sie ein paar Wochen Zeit
mitbringen, gern. Nun mal im Ernst: Sie werden leichter eine
Stecknadel in einem Heuhaufen als dieses Tagebuch inmitten des
Kistenchaos finden. Glauben Sie mir: Es ist
aussichtslos!‹
    Ich wollte mich nicht abschrecken lassen. ›Sind die
Kisten denn etwa unsortiert? Haben Sie wahllos
eingepackt?‹
    ›Das nicht…‹
    ›Na sehen Sie, das schränkt die Möglichkeiten
doch enorm ein.‹
    Schließlich ging er mit mir nach hinten in einen
fensterlosen Raum, der bis zur Decke mit stabilen Pappkartons
angefüllt war. Ich muß gestehen, daß mir bei
diesem Anblick etwas mulmig zumute wurde. Da hatte ich mir wohl
doch zuviel zugetraut. Aber jetzt gab es kein Zurück mehr,
wenn ich mein Gesicht wahren wollte.
    ›Wenn es das Tagebuch einer Nonne und als solches
kenntlich ist, könnte es mein Kollege in die Theologie
eingeordnet haben‹, sagte der Antiquar.
›Möglicherweise befindet es sich auch unter den
Autobiographien oder Handschriften, wer weiß. Am besten
fangen Sie mit der Theologie an. Die Kisten sind da ganz hinten,
die untersten, wenn ich mich recht erinnere. Sie brauchen nur die
Kisten davor und darüber beiseite zu räumen, dann
müßten sie eigentlich gut drankommen.‹
    ›Und wenn aus dem Einband nicht hervorgeht, worum es
sich handelt?‹ fragte ich zögernd.
    ›Ja dann befindet es sich wahrscheinlich unter den
Varia oder unter Kulturgeschichte. Wenn Sie systematisch beim
Umräumen der Kartons vorgehen, könnten Sie sich die ja
schon mal in der entsprechenden Reihenfolge zurechtstapeln, damit
Sie es dann später einfacher haben. Daß hier zu wenig
Platz für ein solches Unterfangen ist, sollte Sie nicht
stören. Sie können hier um die Ecke die Kartons einer
anderen Hinterlassenschaft wegräumen, dann kommt der
Notausgang zum Vorschein. Nach etwa zehn Metern gelangen Sie in
den Innenhof. Da ist Platz genug, damit Sie sich richtig austoben
können. Viel Glück!‹
    Endlich war ich allein. Ich wuchtete die am leichtesten
zugängliche Kiste zu mir herüber, schlug die Pappdeckel
auf und begann zu wühlen. Bei meinem bisherigen Glück
würde ich das Buch, wenn überhaupt, vermutlich in der
letzten Kiste finden. Ich zog Buch für Buch heraus; sie
handelten von abstrusen Themen wie Ufologie,
Kinderernährung, deutschem Humor, Atlantis und der
Welteistheorie nebst vielem anderen. Doch warum soll ich Sie noch
länger auf die Folter spannen? Ganz unten lag ein
Halbleinenbändchen, eine Kladde. Ich blies den Staub vom
Einband und öffnete das Büchlein. Zum Glück kann
ich diese Schrift recht gut lesen, wenn auch nicht schreiben. Es
trug einen Titel. Darauf stand: Tagebuch von Schwester
Hildemarga.«

Benno sah das Büchlein vor sich, als hielte er es in
seinen Händen. Er sah die krakelige
Sütterlin-Handschrift, die das Papier wie Spinnengewebe
bedeckte, er sah beinahe sogar die Wörter.
    Und das war das Problem. Was sollte in der Kladde stehen?
Womit hatten sich die Schwestern abgegeben? Es mußte etwas
Unsägliches, etwas abgrundtief Böses gewesen sein
– nichts anderes kam für Benno in Frage, das
wußte er genau!
    Er sah sie dort in der ersten Bank hocken, dann knien, so
tief, daß er den Eindruck hatte, sie erwarteten den Streich
des Richtschwerts. Und wenn sie durch den Seitengang
hinausschlichen, schauten sie den kleinen Benno mit stechenden
Augen an. Wie hatte er sie nur für harmlos halten
können? Sie waren keine guten Menschen gewesen. Er wollte
nicht mehr an sie denken.
    »Warum nicht?«
    Sie waren doch der Aufhänger der ganzen Geschichte, und
Benno hatte sich immer gern an sie erinnert. Aber da gab es
etwas, das hinter allen seinen Erinnerungen lag.
    Verdammter Verleger! Was hatte er in ihm geöffnet?
    Da waren nicht nur die Wege zurück zu seiner sonnigen
Kindheit, da war noch etwas anderes, etwas, das tiefer lag, so
tief wie die achtlosen Schächte, in denen die Helden seiner
früheren Geschichten gefangen waren.
    Benno hatte Angst, daß er es erfahren könnte.
    »Aber das ist doch der Irrsinn!«
    Kannte er sich etwa selbst nicht mehr? Er wußte,
daß es nichts zu fürchten gab. Dennoch wagte er es
nicht, an diesem Abend weiterzuschreiben.
    Er träumte schlecht.
    Er saß in der Kirche, doch seine Mutter war nicht bei
ihm. Und vorn saßen die Nonnen. Er war kein Kind mehr, doch
noch immer hatte er Angst vor ihnen. Der Weihrauch
verstärkte die Angst. Und der Priester sah auf ihn

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