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Nonnen

Nonnen

Titel: Nonnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Siefener
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plötzlich an so etwas zu erinnern? Etwa weil es in der
Kladde stand? Sollte er sich von bloßen Wörtern
verrückt machen lassen? Er hatte eine glückliche
Kindheit verlebt. Alles andere war Lüge.
    Wie kamen diese Wörter dort hinein?
    Er bildete sich das alles nur ein. Es war wichtig, endlich in
sein eigenes Leben zurückzufinden. Er entschloß sich,
am Morgen wieder zur Arbeit zu gehen.
    Herr Bandmann begrüßte ihn. »Oh, Herr Durst?
Wieder auferstanden von den Toten? Dabei sehen Sie schrecklich
aus. Sind wohl immer noch krank, nicht wahr? Wo pressiert’s
denn? Grippe? Oder gar was Ernstes? Na ja, geht mich nichts an.
Hauptsache, ich muß hier nicht alles allein
machen.«
    »Seien Sie doch bitte still!« sagte Benno scharf.
Er fühlte sich einem Verhör durch seinen Kollegen nicht
gewachsen.
    Herr Bandmann verstummte und sagte den ganzen Tag über
nichts mehr. Benno aber gelang es nicht, sich in den Alltagstrott
zu vergraben. Immer wieder zerrten ihn seine Gedanken zu der
Kladde und den Ungeheuerlichkeiten, die darin standen. Wenn auch
nur ein einziges Wort davon wahr sein sollte, so war er ein
menschliches Monstrum, gehörte aus dem Verkehr gezogen,
eingesperrt für den Rest seines Lebens in eine
Anstalt… Aber er hätte dies alles nicht vergessen
können. Die Kladde existierte nicht wirklich. Seine
überreizten Nerven mußten ihm etwas vorgegaukelt
haben. Er war zu weit in seiner Geschichte aufgegangen. Es wurde
Zeit, daß er ein wenig Abstand gewann.
    Am Abend versank er wieder in seiner Geschichte. Er schrieb
sie weiter.
     
    »DEN TAG ÜBER war ich unkonzentriert, ich fieberte
dem Abend, dem Tagebuch entgegen, und ich machte ein wenig vor
der Zeit Schluß, um einen früheren Bus zu erwischen.
Ich konnte nicht mehr warten.
    Schon am Morgen hatte ich mir ausreichend Geld eingesteckt.
Als ich das Antiquariat betrat, kam mir der Buchhändler
sofort entgegen. Seine maskenhaften traurigen Augen blickten noch
trüber als gestern. Er erkannte mich sofort wieder.
    ›Sie wollen die Kladde holen, nicht wahr?‹
    Ich nickte. Weshalb, zum Teufel, sollte ich sonst
wiedergekommen sein?
    Der Antiquar ging zu seinem Schreibtisch, zog eine Lade auf
und gab mir den Geldschein zurück, den ich ihm am Tag zuvor
als Anzahlung dagelassen hatte. ›Tut mir leid, aber das
Buch ist weg. In der vergangenen Nacht ist bei mir eingebrochen
worden, und man hat mir etliche wertvolle Stücke gestohlen,
darunter auch Ihr Tagebuch. Ich hätte es vielleicht nicht in
die Vitrine legen sollen. So wußten die Gangster, wie
wertvoll es ist.‹
    Mir blieb die Luft weg, so daß ich ihn nicht zur Rede
stellen konnte. In hilfloser Wut rannte ich aus dem Laden und
hätte beinahe eine Gruppe von Nonnen umgerannt. Ich murmelte
eine Entschuldigung und sah ihnen nach, wie sie um eine Ecke in
einer Seitenstraße verschwanden. Es waren vier
gewesen.«

Damit war das Tagebuch verschwunden. Nun mußte Benno
dieses Verschwinden auch in seiner Realität in die Tat
umsetzen. Er sah nach. Die Kladde war noch da. Er nahm sie, warf
keinen weiteren Blick hinein – er hatte noch längst
nicht alles darin gelesen, nein, tatsächlich waren es nur
wenige Worte gewesen –, sondern klemmte sie unter seinen
Arm und ging hinaus.
    Das Wetter war schön, warm, mild. Er ging zum Friedhof
Melaten. Er wollte das Tagebuch zurückbringen. Dorthin, wo
es hingehörte. Er hastete durch das Portal, sah nicht nach
rechts, nicht nach links, suchte das Grab der Schwestern –
und fand es nicht mehr. Nach langem Umherirren stand er vor dem
Sensenmann, der ihn eindringlich daran erinnerte, daß er
seine Geschichte beenden mußte. Nichts durfte offengelassen
werden. Alles mußte dorthin zurückkehren, wo es
entstanden war. Das war das Gesetz des Schreibens, das Gesetz des
Schaffens. Und das Schicksal des Hartmut Schwartz und Jos
Schicksal und so weiter. Alles mußte sich erfüllen.
Dann würde alles gut werden.
    Benno ging den Weg, den er schon beschrieben hatte, den
asphaltierten, kam an dem Mausoleum vorbei, aus dessen Dach ein
kleiner Baum wuchs, und wie der Baum wuchsen die Bilder in seinem
Kopf. Er wollte sie nicht sehen und schüttelte sie fort.
Dann hatte er endlich das Grab gefunden. »Da seid ihr ja,
ihr Hexen!« rief er. Eine alte Frau, die mit der Pflege des
Nachbargrabs beschäftigt war, sah zu ihm auf, raffte ihre
Sachen zusammen und lief fort. Benno ließ sich nicht
beirren. »Ihr könnt mich nicht

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