Nonnen
schmalen Schädel blickten erstarrt zum Mond empor und zu den
Sternen. Die toten Hände waren um ein zerknittertes Blatt
Papier gefaltet, auf dem in großen, gemalten Buchstaben
etwas geschrieben stand. Vielleicht war es der Wind, der
plötzlich an dem Blatt zerrte, es aus den Händen des
Liegenden riß und mir an die Brust wehte. Ich griff danach.
Es standen einige beinahe überdeutliche Zeilen darauf:
›Morgen ist die Nacht des grünen Weihers. Morgen ist
der Tag des sterbenden Lichts. Halte den Zug der
Hoffnungslosigkeit auf.‹ Ich warf das Blatt fort und ging
nach Hause. Bevor ich einschlief, nahm ich mir vor, in der
nächsten Nacht erneut die eingezäunte Rasenfläche
zu besuchen, so beunruhigend dieser Gedanke für mich auch
war. Ich mußte einfach wissen, was dort geschah. Mein
Schlaf indes war tief und traumlos, wie immer, seit ich in diese
Stadt gezogen war.
Die Menschen, denen ich bei meiner Arbeit täglich
begegnete, schauten mich am folgenden Tag mit seltsamer
Intensität an. Ich bemerkte, daß sie mich
beobachteten, und sie tuschelten miteinander. Sie alle lebten
schon sehr lange hier. Nie war es mir gelungen, mit einem von
ihnen näher bekannt zu werden oder mehr als die
üblichen und notwendigen Worte zu wechseln. Doch heute kam
mir einer von ihnen entgegen, gab mir einen vollen Becher in die
Hand und prostete mir mit seinem Becher zu. Ich weiß nicht,
was mich bewog, den Inhalt des Bechers in einem unbeobachteten
Augenblick fortzuschütten, hinter die große Maschine,
die bis beinahe zur Decke der Fabrikhalle reichte, dorthin, wo
ewiges Zwielicht herrschte. Als ich den leeren Becher
zurückgab, sahen sie mich entspannter an, doch ihre
forschenden Blicke waren wie vor ihre Gesichter geklebt.
Von der Fabrik aus ging ich nicht erst nach Hause, sondern ich
blieb in der Nähe der umgatterten Wiese, denn ich wollte
nicht zu spät sein für das Rätsel auf dem
handbeschriebenen Blatt. Zunächst hielt ich mich auf der
Straße auf, ein wenig abseits von der Wiese. Hier war es
angenehmer. Der Halbmond schien wieder in einem
sternübersäten, schwarzklaren Himmel, und nirgendwo auf
der Straße brannte noch eine Laterne. Und nirgendwo in den
Häusern brannte ein Licht. Die Straße lag da wie eine
schon lange nicht mehr benutzte Theaterkulisse. Der Körper
des alten Mannes war natürlich längst aufgelesen
worden.
Unruhig ging ich auf und ab. Meine Schritte hallten
schrecklich laut von den toten Mauern wider. Da begann ich zu
befürchten, daß der Lärm, den ich durch meine
Bewegungen verursachte, die Aufmerksamkeit auf mich lenken
könne. Wessen Aufmerksamkeit? fragte ich mich. Doch ich
wollte kein Risiko eingehen. Also schritt ich hinüber zu dem
lächerlich niedrigen Gatter, setzte zum ersten Mal in meinem
Leben mit einem kleinen Sprung darüber und verbarg mich im
Schatten einer mageren Fichte.
Lange stand ich dort, mit dem Rücken an den rauhen Stamm
gelehnt, und wartete. Die Kälte kroch mir an den Beinen hoch
und umschmiegte mich wie eine Würgeschlange. Doch es war
nicht nur die Kälte. Bald spürte ich meinen Körper
kaum noch.
Endlich hörte ich ein leises Geräusch, ein fernes
Kratzen und Rascheln und Klappern. Ich löste mich von dem
Stamm und kauerte mich an das äußerste Ende des
Baumschattens, so daß ich einen Teil jener Straße
überblicken konnte, auf der ich von der Fabrik
hierhergelangt war. Aus dieser Richtung kam das
Geräusch.
Ganz weit hinten erhellte sich die Straße
plötzlich. Die Laternen flackerten und begannen zu brennen,
und auch aus den Häusern schien nun Licht auf die
Straße zu fallen, ja das Licht schwappte wie eine Welle
heran. In der Mitte der Fahrbahn kroch eine gigantische schwarze
Masse dahin. Zuerst glaubte ich, es sei ein schrecklicher Wurm,
ein riesiges, sich durch die Stadt wälzendes Monstrum, doch
als es näher kam und immer mehr Licht aus den Häusern
und den Laternen strömte, sah ich, daß es nicht ein
einziges Wesen, sondern eine Vielzahl von Wesen war. Es war eine
unendlich lange, schweigende Prozession dunkel gekleideter
Menschen. Dünne Atemfäden gingen von ihnen wie von
einem vielmündigen Ungeheuer aus. Das Rascheln und Klappern,
das ich hörte, wurde von ihren Schuhen und von ihren plumpen
schwarzen Kleidern verursacht und davon, was sie in den
Händen hielten.
Die ersten von ihnen erreichten die Umzäunung der Wiese.
Einer nach dem anderen kletterte bedächtig über die
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