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Nonnen

Nonnen

Titel: Nonnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Siefener
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morschen Planken und betrat die Wiese mit vorsichtigen Schritten.
Ich hatte mich wieder an den Stamm der kranken Fichte
gedrückt und sah, wie einer nach dem anderen das Ding, das
sie in Händen hielten, ins Gras warfen.
    Und das Gras war nicht länger Gras, sondern ein
grüner Wasserspiegel, der begierig alles schluckte, was ihm
dargereicht wurde. Schwarze Dinge mit unregelmäßigen
und unablässig sich ändernden Formen fielen hinab in
das grüne Wasser, das nicht von seinem Ufer aus Gras zu
trennen war. Und diese Dinge, nicht größer als ein
Kopf, zuckten und wanden sich; es war deutlich, daß sie
nicht in das grüne Wasser geworfen werden wollten. Doch
für keines dieser lautlosen Dinge gab es ein Entrinnen.
Sobald sich ein Prozessionsteilnehmer seines unförmigen
Gegenstandes entledigt hatte, verließ er die grüne
Fläche auf der gegenüberliegenden Seite. Unter den
Teilnehmern entdeckte ich auch jenen meiner Kollegen, der mir
zuvor das Getränk gereicht hatte, sowie andere, die ich
flüchtig kannte und die meines Wissens schon sehr lange hier
lebten. Sie alle zogen nun unter dem Licht des Mondes und der
Laternen und der hellerleuchteten Fenster dahin.
    Erst einige Zeit nach der Mitmacht war die Prozession
verschwunden. Die Laternen und die Lichter in den leeren, aus
toten Augenhöhlen auf die Straße starrenden
Häusern erloschen wieder mit seltsamer
Regelmäßigkeit, wie in einer Wellenbewegung, die von
der Rasenfläche auf die Straße zurücklief.
Zuletzt trat auch ich mit klopfendem Herzen auf den verwilderten
Rasen hinaus, aber da war nur noch Gras und kein grünes
Wasser mehr.
    In meiner geschlossenen Hand begann etwas zu jucken. Ich
öffnete sie und schaute sie an. Ein kleines, schwarzes,
unförmiges Ding lag zitternd darin. Entsetzt trat ich einen
Schritt zurück und streckte die Hand aus. Das Ding fiel von
ihr hinab, in das Gras. Und eine Welle lief durch das Gras und
verschluckte das schwarze Ding. Nun verdunkelte sich der halbe
Mond, bis er vollständig mit der Schwärze der Nacht
verschmolz und die Stadt in die Finsternis des Vergessens
stürzte.
    Noch am selben Morgen verließ ich die Stadt für
immer. Jetzt habe ich wieder Träume.

 
Zweites Bild
DIE GESICHTER
IN DER ALLEE
     
     
    Als ich mich dem Dorf in der Abenddämmerung näherte,
bemerkte ich als erstes, daß mit der Kirche etwas nicht
stimmte. Sie lag da wie ein ungeheurer Steinhaufen, viel zu
groß für die schwindsüchtige Ansammlung
erbärmlicher Katen, von denen viele – vor allem am
Rand des Dorfes – bereits unbewohnt und zerfallen waren.
Die gewaltige Kirche, die sich inmitten der geduckten Katen in
den tiefblauen, wolkenlosen Abendhimmel erhob, erinnerte mich an
eine Termitenkönigin, und die Häuser waren ihre
erstarrten Arbeiterinnen.
    Aus keiner der Katen drang Licht auf die ungeteerte, staubige
Straße. Auch jene Häuser, die noch bewohnbar wirkten,
schienen verlassen; ihre Fenster aber waren mit schwarzen
Stoffbahnen verhängt, die im scheidenden Licht des kalten
Tages seidig glänzten.
    Ich kam der ungeheuren Kirche immer näher. Aus ihrem
hohen, in den Abendhimmel stechenden und sternaufspießenden
Turm wuchsen weitere Türmchen, spitz wie emporgereckte
Lanzen, und auch die Außenpfeiler waren bekrönt von
zackigen Hauben, die eher zu einem Schloß als zu einem
Gotteshaus paßten.
    Die Gassen waren so eng, daß die weit vorgebeugten
Giebel der kleinen Häuser sich beinahe berührten, doch
zwischen ihnen blieb die Kirche nicht für einen einzigen
Augenblick unsichtbar. Ich lief an sorgsam verschlossenen
Türen vorbei, durch die seit langer Zeit niemand mehr
getreten war, denn sie waren so dick mit Spinnweben bedeckt,
daß es den Anschein hatte, als hingen schwere graue
Teppiche vor den Türen. Und hinter den Fenstern
glänzten seidig die reglosen Vorhänge.
    Bald weitete sich die Gasse, durch deren Schweigen ich wie
durch tiefes Wasser gewatet war, und der Kirchplatz öffnete
sich vor mir. Von hier aus wirkte die Kirche noch erschreckender.
Hoch oben zeichneten sich Wasserspeier mit grotesken Formen gegen
den nächtlichen Himmel ab; sie waren ungewöhnlich lang
und verwachsen. Ich warf nur einen kurzen Blick auf das Portal.
Auch die überlebensgroßen Figuren der Heiligen in den
filigranen gotischen Nischen wirkten seltsam; einige von ihnen
hockten in den schmalen Nischen, andere wiederum schienen darin
zu hängen oder sich mit ihren steinernen Klauen

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