Nonnenfürzle: Kriminalroman (German Edition)
etwas
grünliches Baumwundwachs auf die Einschnittstellen.
Im Aushärtungsprozess
muss der Körper nun in die richtige Körperhaltung gebogen werden. Mit Schraubzwingen
und Seilen werden die Gliedmaßen des Präparats in die notwendigen Stellungen gebracht.
Die Beine müssen nun exakt angewinkelt und leicht gespreizt werden, die Arme neben
den Brustkorb gelegt und dann im Ellbogengelenk um ungefähr 130 Grad gebogen werden;
die Hände so weit wie möglich nach hinten biegen. Der Kopf wird kräftig nach hinten
gebogen. Doch die gewünschte Haltung gelingt nicht. Du musst das Genick brechen.
Dann wird
der in Form gebrachte Körper mit dem eigens entwickelten Firnis auf Acrylbasis angestrichen.
Der Braunton legt sich über die Muskelfasern, die zähe Konsistenz der letzten, abschließenden
Schutzhülle ist perfekt. Die Wärme des Aushärteprozesses und der Bauheizer sorgen
für einen zügigen Trocknungsprozess.
Das Gesicht
abschließend zu vollenden, das war dann doch etwas aufwendiger, ein noch zäherer
Firnis als jener für den Körper modellierte das tote Gesicht kunstvoll zur ausdrucksstarken
Maske. Nicht jede Muskelfaser darf sich abbilden. Es muss wie von Hand geschnitzt
aussehen. Es muss ein Kunstwerk werden.
Es ist machbar
für dich, ein unvergängliches Kunstwerk zu schaffen mit handwerklicher Geschicklichkeit
und deinem Erfahrungsschatz. Alle werden sie staunen, wenn sie dein Exponat, dein
Werk sehen. Die ganzen Dilettanten, die Arschlöcher, die Kritiker. So rächst du
dich an allen in unvergleichlicher Form. Und der Zeitpunkt ist günstiger denn je.
Viele werden das Kunstwerk betrachten können. Es wird für Aufregung sorgen.
Vergnügt
und erregt greifst du mit klebrigen, bräunlichen Fingern, die du oberflächlich an
deiner Arbeitsschürze abgewischt hast, zu dem Porzellaneierbecher mit den Zahnstochern.
Die Tüte hinten leicht schütteln. Eins mit dem Zahnstocher aufspießen. Mhhh, das
ist dein Gebäck! Nonnenfürzle!
7
Kleber Post
Wie bist
du mir so innig gut
Wenn mein
Gewissen zagen will
vor meiner
Sünden Schuld,
so macht
dein Blut mich wieder still,
setzt mich
bei Gott in Huld.
Es sänftigt
meinen Schmerz so mild
durch seine
Balsamkraft,
die mein
geängstet Herze stillt
und neuen
Glauben schafft.
Wie kann
es sein? Ich sag es noch;
Herr, ist
es auch Betrug?
Ich großer
Sünder hab ja doch
verdienet
deinen Fluch.
Gerhard
Tersteegen (1697 – 1769)
Ich hing am schönen langen Tresen
der Kleber Post. Der guten Stube Oberschwabens. Dort, wo einst Politiker von Rang
und Namen gleichermaßen ein Viertele schlotzten wie renommierte Literaten, die mit
dicken Zigarren eine heimelige Atmosphäre generierten.
Doch ich
fühlte mich an diesem Abend schuldig. Ansonsten neige ich eher nicht zu komplexhaftem
Verhalten.
Aber Fremdgehen
war einfach nicht mein Ding.
Beschämt
hob ich den Blick und beäugte zum wiederholten Male lüstern die Blonde – von oben
bis unten. Mit den Augen ausziehen, lächerlich. Da musste man nichts ausziehen,
das war hier wirklich nicht nötig – bei dieser Transparenz. Unbeweglich stand sie
da und fixierte auch mich.
Provokant.
Langsam
bewegte ich meine Rechte über den Tresen hinweg noch zögerlich auf sie zu. Sie wich
keinen Zentimeter zurück. Ich merkte, dass sie es auch wollte. Es war wie ein seltsames
unausgesprochenes Einverständnis. Fast ein Band – ein Bündnis, quasi. Ein Bündnis
der Versuchung. Mein Gehirn versuchte, meinen Körper noch einmal vor der Sünde zurückzuhalten,
indem es spontan ein Textfragment eines Kirchenliedes, dessen Titel ich nicht einmal
kannte, einblendete: Wie kann es sein? Ich sag es noch; Herr, ist es auch Betrug?
Ich großer Sünder hab ja doch verdienet deinen Fluch.
Die Mahnung
aus den Tiefen meines Unterbewusstseins kam zu spät. Zart strich mein mutiger Zeigefinger
seitlich über ihre sanfte, doch erstaunlich kühle Rundung. Dann gab ich schließlich
meinem starken Verlangen nach, zog sie zu mir her, öffnete meine starken Lippen,
bewunderte noch einmal das güldene Blond und nahm den ersten Schluck von der Halben.
Edelstoff.
Augustiner.
Bayern.
Ansonsten
bevorzuge ich regionales Gebräu, vor allem Walder, naturtrüb und hell. Aber immer
wieder gehe ich mal fremd. Variatio delectat, das wussten auch schon die alten Römer,
immer einen entschuldigenden Spruch, wenn man sich selbst untreu wird. Dermaßen
heiter-melancholisch gestimmt, merkte ich zuerst gar nicht, wie sich ein mächtiger
Schatten auf
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