Nonstop in die Raketenfalle
Feierabend werde. Seine Blicke
spießten, aber die Miene war ausdruckslos. Nichts verriet, dass er an der
Bürotür gelauscht hatte. Mit dem Ohr am gemaserten Holz, hatte er jedes Wort
aufgenommen. In Gedanken rieb er sich die Hände. 35 000! Die würde er sich
holen, die würden in seiner Tasche landen. Dieser Coup war leicht zu machen. Er
hätte an sich selbst gezweifelt, wenn er da nicht zugriff. Außerdem konnte er
die Alte nicht leiden. Sie machte kein Hehl aus ihrer Geringschätzung seiner
Person und dafür erhielt sie jetzt die Quittung.
*
Der Dienstag unterschied sich
meteorologisch nicht vom Montag, und weil bei seinen Komplizen für heute nichts
anlag, hatte Pitröder einen ganzen Arbeitstag in der Kunsthandlung Keul
vorgesehen, einen dunklen, verregneten Tag.
Olaf Pitröder wohnte in
Dreiersberg-Riedenhof, einem Kaff im Grünen, zehn S-Bahn-Minuten von der
Millionenstadt entfernt. Von einem Onkel, dem Bruder seiner verstorbenen
Mutter, hatte er dort ein altes Landhaus geerbt, genau an seinem 21.
Geburtstag, als besagter Onkel, ein hoffnungsloser Alkoholiker, den Löffel
abgab. Nämlich volltrunken, mit 3,6 Promille Wodka im Blut, in eine Jauchegrube
stürzte und elend erstickte.
Gestern, bevor er zu Keul ging,
hatte Pitröder seinen Wagen in die Werkstatt gebracht. Die Inspektion für den
5er-BMW war längst fällig. Abends war er mit der S-Bahn nach Hause gefahren und
mit ihr kam er auch an diesem Morgen in die Stadt.
Um 8.47 Uhr öffnete er die Tür
zur Kunsthandlung. Keul war schon da. Die Bürotür stand offen. Der zwielichtige
Kunsthändler saß hemdsärmelig am Schreibtisch und die Anzugweste spannte sich
über seinem prallen, mit viel Frühstück gefüllten Wanst.
Sie wechselten ein paar Worte
über den politischen Horror, den die Titelseiten der heutigen Zeitungen
feilboten. Pitröder hängte seinen Regenmantel in das Kabuff neben der Toilette
und stellte seine Aktentasche dazu.
Keul las Zeitung. Anschließend
arbeiteten sie gemeinsam an einem kleinen Katalog. Keul plante für Anfang
Dezember eine Ausstellung für Stammkunden und wollte ihnen dabei was an die
Hand geben.
Um Viertel vor elf sagte Keul:
»Wer bringt den Weaver zu Gloria?«
Pitröder blickte zur Straße.
»Es nieselt. Und ich bin ziemlich wasserscheu.«
»Ich auch, Pitröder. Und ich
bin der Chef. Sie gehen.«
»Okay, Sir.« Er starrte ihn an.
»Gucken Sie nicht so. Sie sehen
dann aus, als hätten Sie nicht alle Tassen im Schrank. Das Gemälde ist in einem
Karton verpackt. Wickeln Sie noch ‘ne Plastikplane drum.«
»Gut. Ich nehme Ihren Wagen,
Chef.«
»Das könnte Ihnen so passen«,
grinste Keul. »Es sind nur 300 Meter. Das schaffen Sie zu Fuß. Und wenn nicht —
Glorias Ente parkt noch vor der Tür. Aber in dem Schrotthaufen steht jetzt
fußhoch das Wasser.«
»Chef, ich brauche Ihr Auto.
Ich will doch mit den 35 000 Euro durchbrennen. Ohne Wagen wird das nichts.«
Keul lachte. »Auch mit Wagen
würden Sie nicht weit kommen. Grüßen Sie Gloria von mir. Aber zählen Sie das
Geld nach. Unser einstiger Weltstar ist mit allen Wassern gewaschen.«
Pitröder zog los mit einem
Gesicht, so ausdruckslos wie immer. Bis zu Gloria Altwelt von Scheckerheim
waren es tatsächlich nur fünf Minuten zu Fuß. Der Regen hatte fast aufgehört
und Pitröder kannte natürlich die Adresse genau. Sie
lag an der Westbahnhof-Straße, was als Adresse nüchtern klingt. Doch die Straße
hatte Kopfsteinpflaster, war wenig befahren, schmückte sich mit Alleebäumen und
romantischen Laternen. Parallel zur Straße gab es einen verschwiegenen Fußweg.
Er verlief hinter den Grundstücken der linken Seite — in Richtung Bahnhof
gesehen. Pitröder hatte ihn vorhin benutzt, ging jetzt aber die
Westbahnhof-Straße entlang, also an der Frontseite der Häuser. Die zum Teil
großen Gärten waren novemberkahl, die Bäume entlaubt, der Rasen vergilbt vom
ersten Frost und die Blumenbeete schon abgedeckt oder sich selbst überlassen.
Ein scharfer Wind fuhr durch
die Straße. Pitröder kniff die Lider zusammen. Aus schmalen Augen starrte er
auf die Szenerie dort vorn, vor Glorias Adresse.
Zwei Polizeiwagen parkten.
Uniformierte standen herum. Soeben schoben Sanitäter eine Bahre in das
Ambulanzfahrzeug. Blaulicht rotierte auf dem Dach. Jetzt jaulte die Sirene, und
der Wagen fuhr ab, ihm, Pitröder, entgegen. Der Notarztwagen folgte in kurzem
Abstand.
Pitröder trat zu einem der
Polizisten. »Ist hier was passiert? Ich bin verabredet mit Frau
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