Nooteboom, Cees
dieser merkwürdigen verqueren Haltung, das linke Bein seitlich nach rechts über das andere gedreht, den Dämon unter den Füßen, den Heiligenschein aus Flammen um den Kopf. Sein Dreizack sah nicht wie der deine aus, die Zacken seiner Waffe sind zu eigenartigen, viel zu anmutigen Bögen geformt, das muß gemeine Wunden geben, die sich entzünden und eitern. Und du, du sahst so aus, wie ich mir dich immer vorgestellt habe, wenn du wütend bist, du hattest den Mund weit aufgerissen, schlugst mit den Armen wie mit Mühlenflügeln durch die Luft, die Erde erzitterte, du sprangst mit beiden Füßen zugleich auf und ab, überall auf der Erde müssen sie es gespürt haben, zweifellos stürzte irgendwo eine Flutwelle an Land, und es ertranken Menschen. Musikkonnte ich nicht hören, aber es muß ein Pandämonium lauter, klatschender Geräusche gewesen sein, das Licht war kupferfarben, ihr wicht zurück und gingt wieder aufeinander zu, irgendwann verhakten sich eure Dreizacke ineinander, und es schien für einen Moment, als wolltet ihr euch auch noch aufeinanderstürzen, doch dazu kam es nicht. Lautes Gelächter ertönte, und tanzend verschwandet ihr hinter dem Horizont. Ich erwachte an einem aschfarbenen Morgen, das paßte wunderbar.
Mann
W arum ich in einem fremden Hotelzimmer am anderen Ende der Welt an ihn denken muß, weiß ich nicht, ich kenne mich in meinem Gehirn nicht aus. Doch mit einemmal war er da, der Mann auf seinem Stuhl, der Mann vor seinem Haus, der Mann auf dem Bürgersteig. Ich nenne ihn den leeren Mann, wozu ich allerdings kein Recht habe, er ist ein Fremder für mich. Zwischen meinem Dorf und der Stadt am Hafen liegt beiderseits der Straße ein kleines Wohnviertel, das aus weißverputzten, lediglich einstöckigen Häusern besteht. In den Sommern, die ich auf der Insel verbringe, komme ich ein paarmal in der Woche auf dem Weg zum Markt dort vorbei. Schon beim Kreisel kurz vor den Häusern beginne ich, nach ihm Ausschau zu halten. Er ist Teil der Ordnung des Universums, wenn er nicht da ist, stimmt irgend etwas nicht mit der Welt. Aber er ist immer da. Er sitzt auf einem billigen Gartenstuhl, Lehnen aus Blech, ausgeblichenes Segeltuch. Stets trägt er eine Sonnenbrille, auch wenn die Sonne nicht scheint. Er sitzt da und schaut oder schaut nicht auf die vorbeifahrenden Autos. Er ist immer allein. Lesen tut er nicht, kein Buch, keine Zeitung, niemals. Der Verkehr ist dort lebhaft, er sitzt zu jeder Zeit da und atmet die Autoabgase ein. Immer in derselben Haltung, egal, wann ich vorbeikomme. Was denkt er? Vielleicht nichts, das wäre das größte Rätsel. Ich möchte, daß er etwas denkt, kann mir den Gedanken aber nicht vorstellen. Ein Philosoph ohne Schule und ohne Schrift, besessen von einem ewigen, hartnäckigen Gedanken. Ein Dichter, der im Geist über einen Mann schreibt, der nie etwas schreiben wird. Eines Tages wird jemand ihn von diesem Stuhl heben und in einen Sarglegen. Wo ich gerade bin, geht der Abend in die Nacht über. Bei ihm muß es jetzt Tag sein, die Stunde, in der er dort immer sitzt, aber hier kann ich niemanden fragen, ob es wirklich so ist.
Wasserspiegel
D as Boot ist klein, eigentlich eher so etwas wie eine Wanne. Zwei zart gezeichnete Wesen fliegen über den wogenden blauen Wellen durch die Luft. In dem Boot sitzen drei Männer, der hinterste muß es mit einem einzigen Ruder voranbewegen. Ein vierter Mann befindet sich im Wasser, doch von Schwimmen kann keine Rede sein, allenfalls von Wassertreten, denn er hat beide Hände nach dem Fünften ausgestreckt, der auf den Wellen steht, ohne zu sinken. Die ersten vier Männer machen das Gesicht, das man macht, wenn jemand über das Wasser geht. Schwarze Pupillen in den Winkeln staunender, ehrfürchtiger Augen. Bei dem Mann im Wasser steht der Name dabei: Petrus. Der fünfte Mann hat einen goldenen Heiligenschein, darüber stehen auf griechisch seine Initialen. Unter allem, was Poseidon aus der Tiefe gesehen hat, muß das wohl das Merkwürdigste gewesen sein: die Fußsohlen des Sohnes jenes anderen Gottes, auf der falschen Seite des Wasserspiegels. Die fünf Männer haben die Münder geschlossen, als gäbe es nichts zu sagen. Wenn etwas zu hören war, dann nur das Geräusch der Wellen und der Schritte auf dem glänzenden Wasser.
Grün
J e mehr wir schauen, um so mehr wissen wir. Je mehr wir wissen, um so größer wird das Rätsel. Wenn man vom Reich der Wissenschaft ins Reich der Mythen wechselt und dann den Schritt wieder zurücktut,
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