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Nooteboom, Cees

Nooteboom, Cees

Titel: Nooteboom, Cees Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Briefe an Poseidon: Essays
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du sagst Aeneas, er solle in Zukunft stets den Kampf mit Achill meiden, weil er ihn mit Sicherheit verlieren würde, und dann bist du schon wieder bei Achill, löst den Nebel auf, Zaubertrick gelungen, Gegner verschwunden, gerettet von einem Gott, unzulässige Einmischung. Du wirst einwenden, daß auch Hephaistos beteiligt war, indem er den Schild so vollkommen undurchdringlich machte, doch ein Schild ist ein Schild und Nebel ist Nebel, und wer jemanden töten will, braucht seine Augen. Der Verdruß des Helden entlädt sich in einem wilden Gemetzel an den Ufern des Skamander, des Flusses, der selbst ein Gott ist. Das Wasser ist rot gefärbt, überall liegen Leichen und abgeschlagene Gliedmaßen, die Opfer treiben im Strom, der so mit Blut gesättigt ist, daß die Aale einen Festtag haben, sie fressen an den Nieren und dem Fett der Gefallenen, bis es dem Fluß zuviel wird und er Apollon anfleht, ihm zu Hilfe zu kommen. Das hört Achill und springt mitten in den Fluß, der wie rasend die ihn erstickenden Toten an die Ufer wirft, aber das Wasser brodelt und strudelt und wird so wild, daß der Held mitgesogen wird und fast ertrinkt, ein Mann kämpft mit einem Fluß, ein Sterblicher unterliegt einer Wand aus schwarzem Wasser, ein Held flieht vor einem Strom, der ihn wie ein wütender Jäger verfolgt und ihn jedesmal, wenn er kurz stehenbleibt, mit einer neuen Flutwelle angreift, so daß schließlich auch er die Götter zu Hilfe ruft und du mit Athene zu ihm gehst und ihn bei der Hand faßt. Ich habe versucht, mir das alles vorzustellen, den wilden Fluß, die Leichen, dich und die anderen Götter, die sich immer wieder in den Kampf einmischen, Hera mit ihrem Sohn Hephaistos, der Achill zu Hilfe kommt und den Fluß in Brand steckt, bis das göttliche Wasser um Gnade fleht. Das hilft ihm jedoch nichts, es schmilzt wie das Fett eines wohlgenährten Schweins, wenn das Feuer unter dem Kessel tüchtig geschürt wird,es schmilzt und verflüchtigt sich in Dampf, so dicht wie der Nebel, der Achill blind machte. Und so sieht es aus, der schlammige Grund voller Toter, Geruch nach Tod und Verderben, Farbe von Blut und Eingeweiden, Stöhnen und Jammern, Geier und Ratten.
    Doch nun entbrennt der Kampf auch unter den Göttern, du schmähst Apollon, der sich nicht provozieren läßt, Hera greift Artemis an, Athene weint sich bei Zeus aus, und währenddessen mehrt Achill weiter die Zahl der Leichen, die Landschaft liegt voll von ihnen, bis er zum zweiten Mal an diesem endlosen Tag von einem Gott betrogen wird, weil Apollon die Gestalt seines letzten Gegners angenommen hat und den Helden mit dieser List von den Trojanern weglockt, die Achill noch hatte töten wollen. Was zurückbleibt, ist das Schlachtfeld in der langsam näher kriechenden Dunkelheit. Still ist es jetzt, die Stille, in der ich die Worte gelesen habe, die Tausende von Mündern weitererzählt haben, ein ewiges Echo von Stimmen, bis jemand kam, der ihren Klang in Schrift verwandelte, die nicht mehr ausgelöscht werden konnte, Worte von Betrug und Schicksal. Und mein Flügel?
    Der lag auf dem Weg in meinem Garten. Die Landschaft käme dir bekannt vor, Pinien und wilde Olivenbäume, Steine und trockener Boden, und darauf dieser kleine Flügel, blau. Wegen seiner Farbe fällt er mir auf, ein tiefes leuchtendes Blau von einem Vogel, den ich nicht kenne. Eine Vogelleiche ist nirgends zu sehen, nur dieser Flügel mit einem kleinen Knochen, an dem noch etwas Fleisch haftet, das jetzt von den Ameisen abgefressen wird, eine sich bewegende Schicht kleiner gefräßiger Panzer. Er lag da fast wie eine Blume, verkörperte aber den Tod, genau wie die Leichen auf dem Schlachtfeld. Ungefähr zwanzig schmale Federn in drei verschiedenen Blautönen, zusammengelegt zu einem V-förmigen Winkel, Erinnerung an einen Kampf, bereits angegriffen von Verwesung. Großer Tod, kleiner Tod, als wollte mich etwas zu den Worten zurückführen, die ich gerade gelesen hatte.

Bal des Ambassadeurs
    1938, Buenos Aires. Die meisten Männer tragen weiße Anzüge, die Frauen teils ausladende Hüte, teils nicht. Erst ein Jahr später herrscht Krieg, die künftigen Feinde befinden sich alle im selben Raum, der andere Kontinent, jener der Drohung, ist eine Schiffsreise entfernt. Im Vordergrund ein Mann allein am Tisch, was er denkt, nicht zu erkennen. Die anderen haben sich erhoben, um zu tanzen, doch auch die Musik ist unhörbar. Ein Mann trägt eine Pappkrone auf dem Kopf, das Haar desjenigen, der am Nachbartisch

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