Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nooteboom, Cees

Nooteboom, Cees

Titel: Nooteboom, Cees Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Briefe an Poseidon: Essays
Vom Netzwerk:
Problem? Mit Sokrates, der trotz seines Glaubens an die Unsterblichkeit der Seele durch sein lautes Denken mit der Entzauberung der Welt begann? Oder schon früher bei Xenophanes, der Hesiod und Homer vorwarf, sie hätten den Göttern lauter schlechte menschliche Eigenschaften gegeben, die Neigung zu Ehebruch, Neid, Betrug, und damit der Vorstellung des Göttlichen an sich geschadet? Hast du dich je damit beschäftigt? Anders gesagt, hast du davon gelesen, wie die Wissenschaft dein Verschwinden begünstigt hat? Oder die Philosophie, die mit logischen Beweisen deine Existenz leugnete? Daß ich dir einen Brief schreibe, ist so gesehen natürlich paradox, denn in diesem Brief existierst du noch, also gestatte mir bitte meine Fragen. Aber hast du auch von dem Gott gelesen, der euch verdrängt hat? Dem Einen Gott, der dann doch wieder nicht Ein genug war und in einem äußerst merkwürdigen Manöver drei wurde, von denen einer dreiunddreißig Jahre lang Mensch war und gleichzeitig Gott blieb? Wie das möglich ist, kann niemand mit Worten erklären, sagt der mittelalterliche Mystiker Seuse, versucht es aber trotzdem, und zwar mit den Worten von Augustinus, demzufolge der Vater den Ursprung aller Göttlichkeit des Sohnes und des Geistes bereits in sich trug, oder mit der noch rätselhafteren Äußerung von Thomas von Aquin, der schreibt, »daß Gott in seiner lichtreichen Erkenntnis mit einer Widerbeugung auf Sein göttliches Sein auf Sich Selbst blickt«, eine fast narzißtische Wendung. Hier wird Sprache verformt, gefaltet und gedehnt zu einer unbeweisbaren Aussage, für die es natürlich keine mathematische Formel geben kann. Erkennst du etwas wieder in solchen Gedanken? Schließlich hattest auch du einen Menschenkörper, doch der war unsterblich, der jenes anderen nicht, der wurde ermordet aneinem Kreuz. Das kann dir nicht passieren. Ich weiß, daß du mir nicht antwortest, aber wenn es stimmt, daß du unsterblich bist, dann bist du vielleicht noch irgendwo, vernachlässigt, vergessen. Manchmal, wenn ich mich fern von dem Meer befinde, das diese Insel auf allen Seiten umarmt, und irgendwo in der Rastlosigkeit der Welt unter einer Großstadtbrücke einen Clochard unter einem Stück Karton liegen sehe, aus dem sein zottiger grauer Bart gerade noch hervorlugt, kommt mir für einen kurzen Moment der blasphemische Gedanke, das seist du. Doch auch dann traue ich mich nicht, mich mit all meinen Fragen an dich zu wenden.

Krieg
    2011. Eine Frau in den Niederlanden erhält einen Brief des Befehlshabers der Seestreitkräfte, in dem bestätigt wird, daß das Wrack der 1941 bei Borneo von einem japanischen Torpedo getroffenen K XVI gefunden wurde. Ihr Vater, Wim Blom, war einer der Offiziere an Bord. Jetzt weiß sie endlich sicher, wo und auf welche Weise ihr Vater ums Leben kam. Die Frau heißt Katja Boonstra und ist Vorstandsmitglied des Komitees der Hinterbliebenen von U-Boot-Besatzungen 1940-45. Dieser Krieg ist erst zu Ende, wenn der letzte, der etwas mit ihm zu tun hatte, nicht mehr lebt. Sie bespricht die Nachricht mit einer Freundin, deren Vater auf demselben Schiff umkam. Die Freundin erzählt ihr, sie habe dem Foto ihres Vaters diesen Brief vorgelesen. Bild: Eine ältere Frau in einem stillen niederländischen Zimmer, die dem Schwarzweißfoto eines Toten in Marineuniform einen Brief vorliest. Die Welt als endlose Reihe von Erscheinungen.
    1935. Ein langes, schmales Schiff, eindeutig ein U-Boot, ankert in ruhigem Wasser, in Ufernähe. Daß es in den Tropen ist, erkenne ich an den Bäumen hinter den Hafengebäuden und an den weißen Uniformen der an Deck angetretenen Besatzung, Offiziere und Matrosen. Es ist die Ankunft der K XVI Ihrer Majestät in Niederländisch-Ostindien. Sechs Jahre später wird das U-Boot den Auftrag erhalten, vor der Küste Borneos Jagd auf japanische Kreuzer und Torpedojäger zu machen, deren Ziel es ist, die dortigen Ölfelder zu erobern. Gemeinsam mit der K XIV und der K XV überwacht es die feindlichen Schiffe, die zusammen mit zehn Frachtern in einemKonvoi fahren. An Heiligabend ist es soweit. Die K XVI verfolgt den Zerstörer Sagiri und versenkt ihn. Danach jagt sie die Murakumo , die jedoch entkommt. Einen Tag darauf, am ersten Weihnachtstag 1941, entdeckt ein japanisches U-Boot, die I 66 , ein niederländisches Unterseeboot über sich und feuert. Die K XVI sinkt, niemand wird gerettet. Nicht lange danach ereilt die I 66 das gleiche Schicksal, sie wird von einem englischen U-Boot versenkt. Der

Weitere Kostenlose Bücher