Nooteboom, Cees
um Verachtung auszudrücken. Jack Palance hat für einen Filmmogul einen zu kleinen und zu roten Sportwagen, und Michel Piccoli kann einfach nicht verstehen, warum seine Frau ihn verachtet, obwohl er doch sichtlich im Begriff ist, sein Talent an den vulgären Produzenten Palance zu verkaufen. Fritz Lang agiert als intellektuelles Gegengewicht, trägt mit deutschem Gefühl für Rhetorik eine Passage aus dem 26. Gesang der Hölle vor, in dem Odysseus als Flamme vorkommt. Piccoli zeigt, was sich gehört, indem er die Verse als Dante-Zitat erkennt, doch ob er imstande sein wird, für Fritz Lang das Drehbuch zu dem Odysseus-Film zu schreiben, der das Thema dieses Filmes ist, den ich jetzt, 2012, viel zu spät sehe ( Le Mépris/Die Verachtung ), ist zu bezweifeln. Dafür ist er zu leicht, dieser noch so junge Piccoli, und außerdem trägt er während des gesamten Films einen schwarzen Hut, der ihm erst von Nutzen sein wird, als Bardot und Palance mit ihrem kleinen roten Auto unter einem riesigen Tankwagen zu Tode kommen. Odysseus, Held des Films von Fritz Lang, der nie zu Ende gedreht werden wird, läuft in einem eigenartigen Kostüm aus dem Theaterladen herum, ein paar Komparsen, die den Chor darstellen sollen, irren zwischen den Marmorsäulen in Gewändern umher, die seit dem achtzehnten Jahrhundert als griechisch durchgehen müssen. Die drei Hauptfiguren plagen sich mühsam in einem Drama ab, das keinen Moment lang den unerbittlichen eisernen Geschmack einer antiken Wirklichkeit annimmt, das einzig Echte, das wir zu sehen bekommen, sind ein klassisches Standbild der Atheneund ein mächtiger Poseidon vor dem Hintergrund seines eigenen blauen Meeres. Ort der Handlung ist die futuristische Villa von Curzio Malaparte auf Capri, und fast ein halbes Jahrhundert nachdem dieser Film gedreht worden ist, sehe ich ihn mir an, weil ich bei Anne Carson gelesen habe, daß Poseidon kuanochaites ist, sehr dunkelblauhaarig, und weil jemand mir gesagt hat, die Farbe Blau begleite den Gott auch in diesem Film. Das stimmt, und es stimmt nicht. Ein mal, als der Gott in all seiner Macht als Odysseus' in Stein gemeißelter Feind gezeigt wird, sind nicht seine Haare, sondern seine Lippen und seine blinden Augenhöhlen in einem fast giftigen, alles durchdringenden leuchtenden Blau getönt; es ist die Farbe seines Meeres, wie Tiberius sie hier auf Capri immer gesehen haben muß, das Blau des Epithetons, das dem Namen des Meeresgottes anhängt wie ein homerischer Schatten, der ihn auf Schritt und Tritt begleitet, der Beiname als ewiger Hund, bis das Ende kommt.
Poseidon XX
W ann war es, im vergangenen Jahr, im Jahr davor? Ich stand vor dem Arsenal in Venedig und betrachtete deine Statue. Du stehst fast immer leicht abgewandt da, seitwärts gekehrt, als wollest du ein Gespräch vermeiden. Würde ich mich trauen, dich anzusprechen, wenn ich dir dort in dieser Gestalt begegnete, allerdings lebendig? Geht man auf einen halbnackten Mann zu, der mit aufgepflanztem Dreizack vor einem klassizistischen Tor steht, um ihn etwas zu fragen? Und wie spricht man ihn dann an? Im Italienisch der Renaissance? Im homerischen Griechisch? Ich hatte an jenem Nachmittag in einem Buch über Platon eine Passage über das Göttliche gelesen, und zwar daß die alten Griechen in Augenblicken furchterregenden Unheils oder unbändiger Freude, wenn alles im Leben plötzlich blendend aufscheint in einem fast unerträglichen Licht, das Empfinden von etwas Göttlichem, unkontrollierbar Übermächtigem haben und das dann als »der Gott« oder »ein Gott« bezeichnen, also im Singular. Gemeint ist nicht der unsrige, der ohne Artikel. Handelt es sich um Liebe, so ist es Aphrodite, hat es mit Kampf und Krieg zu tun, dann Ares. Es ist der Gott, der in ihrem Leben erscheint, eine Öffnung zum Unerklärbaren, ohne ihn oder sie ist es zu mächtig, zuviel. Mein Leben spielt sich ohne Götter ab, du bist der einzige, dem ich schreibe, vielleicht hatten meine Fragen damit zu tun?
Auf meinen Reisen bin ich zahllosen Formen des Göttlichen begegnet, den Göttern der Maya, der Azteken, der Dogon, der Hindus. Ich habe Götter gesehen mit tausend Armen, mit einem Pferdekopf, tanzende Götter, fliegende, tierförmige, ich habe dich gesehen mitdeinem Dreizack, manche werden noch gefürchtet und angebetet, andere verkümmern in Büchern und Museen, sie können sich nur noch auf ihre Schönheit berufen, nicht mehr jedoch auf ihre Kraft, darüber habe ich mich bereits ausgelassen. Wo begann euer
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