Nooteboom, Cees
Kapitän dieses Schiffes heißt William King. Ein niederländisches Schiff hat ein japanisches torpediert, ein japanisches Schiff hat ein niederländisches zerstört und wird selbst von einem englischen versenkt. Krieg.
2011. Ein Fischer auf Borneo berichtet australischen Tauchern, er kenne ein Wrack sechzig Meilen vor der Küste. Sie machen sich auf die Suche und finden in vierzig Meter Tiefe die K XVI .
2003. Ein Japaner legt einen Blumenstrauß am Mahnmal der U-Boot-Einheit im niederländischen Marinestützpunkt Den Helder nieder. Er ist der Sohn eines der Besatzungsmitglieder der I 66 und möchte damit sein Bedauern über das ausdrücken, was sein Vater im Krieg hat tun müssen. Das erfährt Katja Boonstra. Sie lädt den Japaner zum Essen ein, und später fahren sie gemeinsam nach England zum Landsitz William Kings, des britischen Kommandanten des Schiffes, das die I 66 torpediert hat, und pflanzen dort einen Baum. Ich sehe mir das Foto aus dem Jahr 1935 noch einmal an, das schmale Schiff, die Reihe der Männer in Weiß. Einer von ihnen ist Wim Blom, doch wegen der Entfernung, aus der das Foto gemacht wurde, kann seine Tochter ihn unter den anderen weißen Schemen nicht mehr erkennen. Und die See hat keine Augen, sie kann nichts sehen. Sehen kann nur die Vorstellungskraft. Zwei Schiffe tief unter der Oberfläche, der längliche, tödliche, metallene Gegenstand, der das eine Schiff verläßt und sich in das andere bohrt. Der langsame Weg nach unten, das träge Schaukeln, der Tod.
Ratón
E in Stier trägt seine Waffen stets bei sich. Sie sind geschliffen, und sie sind symmetrisch, daran ist er zu erkennen. Wenn der Feind sich innerhalb dieser Symmetrie postiert, kann ihm nicht viel passieren. Das Paradoxe eines Stierkampfs besteht nun aber darin, das nicht zu tun. Man muß getroffen werden können , und dabei muß man geschickt sein. Es ist ein Ballett mit dem Tod, das meist, aber nicht immer vom Tänzer gewonnen wird. Man muß sich mit großer Eleganz stets im Bereich des Todes bewegen, doch sterben muß der Stier. Manchmal läuft es anders. In der spanischen Provinz gibt es auch heute noch alle möglichen grausamen Volksfeste, bei denen die gesamte Dorfbevölkerung Stiere provoziert, vor ihnen Reißaus nimmt, vor ihnen her rennt, ein mal der düsteren Gefahr trotzt, denn auch wenn die Hornspitzen manchmal abgesägt sind, besitzt ein mehrere Hundert Kilo schweres Tier noch eine gewaltige Kraft, und es geht darum, sich mit dem schnaubenden Atavismus zu messen, den Kampf mit dem Mythos zu imitieren, mittelalterliche Riten, die meist mit barbarischer Erschöpfung enden, mit gräßlichen Szenen, Betrunkenheit, Blut, Staub oder Schlamm, der Einzelne, der das Schicksal herausfordert, die anderen, die sich an dem Aufstacheln und Schreien und dem Recht des Stärkeren weiden, bis der Stärkere mit einemmal der andere ist, das Tier, das Emblem des Mythos, das aus den Texten der Antike plötzlich als Wirklichkeit zum Vorschein kommt und sich so wieder in einen Mythos verwandelt, einen Minotaurus, der Opfer verlangt. Das geschah in diesem Jahr, und der Mythos hat bereits einen Namen, Ratón, die Maus, ein Name wie ein Gegenteil, eine Leugnung, um die Gefahrauszuschalten. Tiere sollten keine Namen haben, sie sollten heißen, was sie sind. Als Maus hätte diese Maus keine Menschen töten können, als Stier konnte sie es, daher wurde er nach einem Tier benannt, das auf einer viel tieferen Stufe in der Rangordnung der Emblematik steht, in Wappen kommen keine Mäuse vor. Er kann rennen, den Männern nachjagen, die vor ihm her laufen, die tanzen und Kapriolen machen, ihm an den gewaltigen Leib schlagen. Fünfhundert Kilo, ein dreieckiger weißer Fleck am Kopf mitten zwischen den Hörnern, drei Tote, die auf sein Konto gehen, und jetzt darf er nirgends mehr fehlen, sein Preis hat sich verfünffacht, der Tod läuft mit ihm mit.
Posidonia
K ann auch Seetang ein Memento mori sein? Einer der Strände an der Nordküste dieser Insel heißt Cala des Tamarells, von einem kleinen Fischerdorf aus ein ordentlicher Fußmarsch. Man muß erst über einen langen Strand gehen, der das Meer von einem Süßwassergebiet trennt, das albufera genannt wird, ein Paradies für Wasservögel, die Albuferra des Grau. Mit den Herbstregen steigt der Wasserspiegel, und wo das Süßwasser ins Meer mündet, führt eine schmale Holzbrücke über eine Art Bach, der nach dem Sommer immer breiter wird. Es geht hinauf und hinunter, sobald man vom Strand aus
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