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Nora Morgenroth: Der Hüter

Nora Morgenroth: Der Hüter

Titel: Nora Morgenroth: Der Hüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Michelsen
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wollte dich überraschen. Na, wenn du schon da bist, kannst du auch probieren. Hier!»
    Er schob mir den Kochlöffel zwischen die Lippen.
    «Hm. Lecker! Was wird denn das?»
    « Na, ich dachte, ich koche uns etwas für nachher und wir feiern unsere Verlobung. Das ist ja bisher ein bisschen untergegangen in dem ganzen Trubel. Ich habe mir ein paar Stunden freigenommen. Kann aber sein, dass ich nachher noch mal los muss. Aber wahrscheinlich erst, wenn du schon schläfst. Wir haben den ganzen Abend für uns, ich darf nur nichts trinken.»
    «Oh.»
    Die Aussicht, in der Nacht schon wieder allein zu sein, war nicht sehr verlockend. Aber ich durfte Oliver auf keinen Fall das Gefühl geben, dass er mich besser nicht allein ließ. Du liebe Güte, dachte ich, schließlich bin ich erwachsen. Nora, reiß dich zusammen.
    Ich verzog mein Gesicht zu einem Lächeln und küsste Oliver mit meinen Saucenlippen.
    «Dann lass dich mal nicht stören beim Kochen. Ich hatte heute Mittag Fischstäbchen mit Kartoffelbrei aus der Tüte. Naja, du kennst ja Hedda. Aber warum hast du denn so früh angefangen?»
    « Das wirst du noch sehen. Ich wollte nur alles soweit vorbereiten, dass wir es nachher nur noch warmmachen müssen.»
    Er sah auf die Uhr.
    «Ich brauche noch schätzungsweise zwanzig Minuten. Warum gehst du nicht nach oben und arbeitest ein bisschen und ich sage dir dann Bescheid, wenn ich fertig bin, ja?»
    Gegen den Vorschlag hatte ich nichts einzuwenden. Ich ging hinauf in mein Arbeitszimmer, schaltete den Computer ein und checkte meine Mails.
    Eine Nachricht stammte von meinem Buchverlag. Sie schlugen mir eine Lesereise vor, die allerdings erst im November stattfinden sollte. Man bat um baldigen Rückruf, falls ich interessiert sei. Lesereise? Eine komische Vorstellung, fand ich. Natürlich war mir klar, dass einige Leute bereits mein Buch gekauft hatten. Doch bisher hatte ich nur eine sehr abstrakte Vorstellung von meiner Leserschaft gehabt. Ich wusste nicht, ob ich schon soweit war, mich wirklich vor ein Publikum hinzusetzen und aus meinem eigenen Werk vorzulesen. Andererseits, wenn die im Verlag mich für geeignet hielten, vielleicht wirkte ich dann bereits professioneller, als ich es mir selbst zutraute?
    Aus einer Mischung aus Feigheit und Unentschlossenheit heraus verschob ich die Mail in den Ordner, in den Unerledigt -Ordner. Ich würde mich später darum kümmern. Oder morgen. Oder übermorgen. Mir schwirrte jetzt anderes im Kopf herum.
    Ich fragte mich beispielsweise, wann Oliver wohl rufen würde. Mit einem Mal empfand ich eine merkwürdige Gereiztheit, ohne dass ich hätte sagen können, weswegen.
    Am liebsten hätte ich meine Arbeitsjeans angezogen und ein altes Hemd und würde damit fortfahren, die Tapeten von den Wänden zu reißen. Am liebsten gleich die ganze Wand einreißen. Etwas kaputt zu machen, einfach mal so. Plötzlich ging mir alles nur noch auf die Nerven. Da fiel mir der Einkaufswagen ein, den ich im Baumarkt stehen gelassen hatte.
    Mich beschlich das Gefühl, dass mir alles entglitt. Irgendwie. Ich hatte es ja nicht einmal geschafft, einen Eimer Farbe zu beschaffen. Stattdessen hatte ich mit mehr Tatkraft als Sachverstand die Sträucher im Garten verstümmelt. Wenn in diesem Jahr nichts mehr blühte, dann mussten wir uns nicht wundern.
    Ich sprang auf und versetzte dem Schreibtisch, der ja nun wirklich nichts dafür konnte, einen Tritt. Zwei auf der Ecke liegende Bücher rutschten zur Seite und polterten zu Boden.
    « Ist bei dir da oben alles in Ordnung?»
    «Ja!» , brüllte ich ungehalten zurück.
    « Gut. Bin gleich soweit!»
    Von mir aus konnte er bleiben, wo der Pfeffer wuchs. Ich war so wütend, dass ich am liebsten etwas zerhackt hätte.
    «Nora?»
    Nimm das Messer.
    Nein.
    Nimm das Messer.
    Papa, bitte nicht.
    Dann hol den Stock.
    Papa, bitte nicht.
    Bück dich.
    Lass ihn Papa. Bitte. Bitte. Siehst du, ich habe ja schon das Messer.
    Nicht den Stock. Aua.
    Sei gehorsam. Dann muss ich das nicht tun.
    Ja, Papa.
    Du bist Schuld.
    Ja, Papa.
    Wer nicht hören will, kommt ins Loch.
    Sieh nur.
    Hol den Stock.
    Aua.
    Er weint.
    Ja, Papa.
    Bei Fuß.
    « Nora?»
    Der Griff war fest. Er umfing meine Handgelenke. Zwang sie herunter.
    «Nora!»
    Die Wut und die Furcht gingen wie ein Riss durch mich hindurch. Beide Empfindungen waren gleich stark. Sie zerrten an mir, von allen Seiten gleichzeitig. Und dann war da noch Oliver, der zog auch an mir mit seiner Liebe. Ich hätte ihm den Schädel einschlagen

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