Nora Morgenroth: Der Hüter
Oliver mir endlich berichten konnte, was seine Recherchen ergeben hatten – nämlich nichts.
Es war später Sonntagnachmittag und wir befanden uns auf dem Rückweg von Hedda, Frank und Viola, wo wir uns mit Kuchen hatten mästen lassen. Oliver hatte den halben Nachmittag mit Viola auf dem Teppich gelegen, Klötzchen aufgestapelt und sich von ihren klebrigen Händchen betatschen lassen. Währenddessen hatten Hedda und Frank es genossen, mal zwei Stunden lang gesittet auf dem Sofa sitzen zu dürfen anstatt auf einer Krabbeldecke auf dem Fußboden.
Die Nachricht war ernüchternd, allerdings konnte ich nicht sagen, was ich stattdessen erwartet hatte. Trotzdem – gar nichts, das war verdammt wenig.
«Hm. Da weiß ich jetzt auch nicht, was ich sagen soll.»
« Tut mir leid, aber ich habe nichts gefunden, nicht an unserer Adresse und nicht in der unmittelbaren Nachbarschaft. Du gehst doch davon aus, dass es bei uns oder zumindest in der Nähe gewesen sein muss?»
Ich überlegte.
«Naja, wissen kann ich es natürlich nicht. Aber ich denke schon, dass es mit dem Ort zu tun haben muss, an dem ich mich aufhalte. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich diese Träume habe und dass das alles von irgendwo herkommt. Nein. Es ist irgendwie ganz dicht an mir dran.»
Oliver, der am Steuer saß, streckte die rechte Hand aus und legte sie mir auf das Knie. Normalerweise mochte ich es immer, wenn er mich anfasste. Egal, wann und wie. In diesem Augenblick hätte ich mein Bein am liebsten zurückgezogen. Ich beherrschte mich gerade noch, doch Oliver hat mein Zucken bemerkt. Er interpretierte es falsch.
« Nora, es tut mir leid, aber ich weiß wirklich nicht, was ich noch tun soll. Es kann natürlich gut sein, dass da etwas geschehen ist, das niemals angezeigt wurde. Aber ich habe im Moment einfach keine Idee mehr, wie wir der Sache auf den Grund gehen sollen.»
« Macht nichts. Vielleicht geht es von allein wieder vorbei.»
Das glaubte ich zwar selbst nicht, aber es brachte mich auch nicht weiter, wenn Oliver nun auch noch ein schlechtes Gewissen bekam, weil er mir nicht weitergeholfen hatte. Ich wünschte nur, dass ich eine Idee hätte, was ich gegen die Träume tun sollte. Tagsüber blitzen immer wieder Bilder und Stimmenfetzen auf, aber die Nächte hatten sich für mich zum reinsten Horror entwickelt. Abends im Bett traute ich mich kaum noch, die Augen zu schließen. Natürlich half das gar nichts. Irgendwann schlief ich immer ein.
In der v origen Nacht war der Alptraum besonders abscheulich gewesen. Ich war zwischen aufgeschlitzten Tierleibern herum gewatet. Einige von ihnen zuckten sogar noch. Meine Arme waren bis zu den Ellenbogen mit Blut besudelt gewesen. Im Traum wusste ich, dass ich das angerichtet hatte, aber gleichzeitig schrie und weinte ich und wollte den armen Tieren helfen: Ich hatte das alles nicht gewollt. Etwas oder jemand hatte mich dazu gezwungen. Und dann brüllte ich vor Wut und Trauer und wachte auf. Es war einfach furchtbar gewesen, und ich wusste nicht, was ich noch dagegen tun sollte. Zumal es im Moment keinesfalls besser wurde, sondern eher schlimmer.
Während wir schweigend weiter fuhren, überlegte ich, mit wem ich mein gr ausiges Geheimnis noch teilen könnte. Bille war verreist und kam sowieso nicht in Frage. Ich hatte ihr bisher alle wichtigen Dinge aus meinem Leben anvertraut, aber das hier – nein, nicht die Gabe. Es würde uns verändern, das wusste ich oder ich fürchtete es. Ich konnte Franka anrufen, vielleicht würde ich das auch tun. Allerdings war sie eher der Mensch, der einem praktisch weiterhalf und keine Vertraute für stundenlange, tiefschürfende Gespräche.
Und Oliver – nein, ihn wollte ich nicht noch mehr belasten. Er hatte im Moment mit seinem Job genug um die Ohren.
Vielleicht war es noch nicht einmal selbstlose Rücksichtnahme, wie ich mir einzureden versuchte, sondern die Furcht, dass er eines Tages genug haben würde von meinen Visionen. Den üblen Alpträumen, die mich neuerdings mehrmals in der Nacht weinend aufwachen ließen. Das letzte Mal, als mir so etwas zugestoßen war, hatte ich noch allein gelebt. Jetzt lag da immer jemand neben mir und bekam mit, wenn ich vollkommen außer mir geriet.
Was, wenn Oliver zu der Überzeugung gelangte, dass mit mir etwas nicht stimmte, dass ich vielleicht verrückt wurde? Ich könnte es ihm ja nicht einmal verübeln, denn manchmal zweifelte ich selbst an meinem Verstand. Ich spürte, wie die Träume mich veränderten. Nicht
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