Nora Morgenroth: Der Hüter
nur, dass ich schlecht schlief und mich infolgedessen die meiste Zeit des Tages wie gerädert fühlte . Nein, ich spürte, dass ich immer unausgeglichener wurde. Manchmal, wenn Oliver ganz lieb wegen etwas nachfragte, stieg eine ungekannte Gereiztheit in mir auf. Und zugleich hätte ich mich am liebsten in seine Arme verkrochen, damit er mich beschützte und festhielt.
« Alles in Ordnung?»
Olivers Hand lag immer noch auf meinem Bein. Ich spürte den leichten Druck seiner Finger. I ch hätte sie am liebsten weggeschlagen und laut gebrüllt. Es fühlte sich an wie in dem Traum der vergangenen Nacht. Ich fühlte mich böse und verzweifelt zugleich. Täter und Opfer. Zerstörungswut und Angst. Es lag so dicht beieinander.
Ich stöhnte lautlos und biss die Zähne zusammen. Was hatte ich denn plötzlich gegen Oliver? Was war das, was sich in mir einnistete? Ich durfte einfach nicht vergessen, dass er mein Liebster war. Seit Oliver und ich zusammen waren, war mein Leben um so viel besser, voller und reicher geworden. Das hing gar nicht alles direkt mit ihm zusammen, vieles hatte sich einfach so ergeben, wie das Schreiben beispielsweise, aber trotzdem wusste ich, dass es auch durch ihn geschah. Oliver machte mich als Person irgendwie kompletter. Das durfte ich nicht aufs Spiel setzen. Ich legte meine Hand auf die seine. Seine fühlte sich warm an, meine war ganz kalt.
« Ja, alles in Ordnung, wirklich. Viola ist aber wirklich süß, oder?»
Mein Ablenkungsmanöver gelang. Vielleicht dachte Oliver auch nur, dass es mir guttun würde, wenn wir über etwas anderes sprachen und ging darum bereitwillig darauf ein.
Für den Rest der Fahrt sprachen wir über meine kleine Nichte und Heddas und Marcs Pläne, ein Grundstück zu kaufen und nun auch aus der Stadt hinaus aufs Land zu ziehen.
Meine kleine Schwester, die nach dem Unfalltod ihres Mannes für einige Zeit – in meinen Augen jedenfalls – vollkommen überdreht gewesen war und sich in kürzester Zeit einen Liebhaber nach dem anderen zugelegt hatte, war nach der Geburt ihrer Tochter merklich ruhiger geworden. Das Kind war nicht geplant gewesen, doch ich hatte den Eindruck, dass Hedda mit Frank glücklich war. So ganz genau konnte man das bei anderen Paaren ja nie wissen, aber es wirkte so, als seien die drei eine sehr harmonische kleine Familie. Ich erinnerte mich daran, wie Hedda mir damals erzählt hatte, dass sie schwanger geworden war. Zu jener Zeit war Frank, soweit ich das überblickte, nur ein Mann in einer langen Reihe mit vielen anderen gewesen. Dann wurde meine kleine Schwester immer runder und ruhiger und Frank blieb hartnäckig an ihrer Seite, obwohl Hedda immer betont hatte, dass sie das Kind notfalls auch allein großziehen würde.
Anscheinend hatte das Ausharren sich gelohnt, denn die beiden gingen entspannt und liebevoll miteinander um und mit der Kleinen sowieso. Ich dachte, dass es schon deswegen toll wäre, wenn ich bald schwanger würde, damit Viola und ihr kleiner Cousin - oder die kleine Cousine – altersmäßig nicht so weit auseinander lagen.
Plötzlich schnürte ein ganz und gar entsetzlicher Gedanke mir die Kehle zu: Was, wenn ich gar nicht schwanger wurde? Es nicht werden konnte? Ich war nicht mehr die Jüngste, vielleicht war es zu spät?
Kaum, dass wir im Haus waren, griff ich nach Oliver.
«Hey, junge Frau, ich werde Sie wegen sexueller Belästigung anzeigen!»
« Komm», sagte ich einfach. Mir war nicht nach Scherzen zumute.
Fünf Minuten später war es vorbei. Oliver rollte sich von mir herunter. Wir hatten uns nicht einmal richtig ausgezogen.
«Was war das denn eben?»
Ich schwieg. Musste er nicht noch zum Dienst? Ich wollte nur noch allein sein.
Mit Liebe hatte das eben nichts zu tun gehabt. Wir hatten uns gepaart wie Tiere, das war alles. Nichts anderes hatte ich gewollt. Natürlich hatten wir auch früher gelegentlich schnellen Sex gehabt oder es war vorgekommen, dass einer von uns weniger bei der Sache gewesen war als der andere. Aber es hatte sich niemals so fremd angefühlt, so kalt, beinahe böse.
Oder war es nur ich, die so empf unden hatte, gar nicht wir beide? Was war denn nur mit mir los? Ich war doch gar nicht böse auf Oliver. Weshalb auch, es gab dafür keinen Grund.
Es war nur seine Nähe oder vielleicht überhaupt die Nähe eines anderen, die ich nicht ertragen konnte.
«Ich gehe duschen.»
Ich sprang auf und ging hinüber ins Badezimmer.
Den Rest des Abends verbrachten wir in getrennten Räumen ,
Weitere Kostenlose Bücher