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Nora Morgenroth: Die Gabe

Nora Morgenroth: Die Gabe

Titel: Nora Morgenroth: Die Gabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Michelsen
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Wenn sie nur langsamer gefahren wäre, wenn sie den LKW eher gesehen oder schneller reagierte hätte, als der auf unsere Spur herüberzog. Mit ihren Selbstvorwürfen drehte Hedda sich im Kreis, gleichgültig, was ich dagegen einwandte. Sie klagte, dass sie nun alles verlieren würde und auch noch selbst schuld sei an ihrem Unglück. Hedda schniefte einen ansehnlichen Haufen Papiertaschentücher voll, während ich wohl an die hundert Mal wiederholte, dass sie keineswegs schuld war an Marcs Tod. Sie hatte sich lange kaum beruhigen lassen. Dann war sie müde geworden und wollte schlafen. Das neue Jahr konnte nur noch besser werden, wenn uns auch die Trauerfeier noch bevorstand. Bis dahin wäre Hedda aus dem Krankenhaus in die ambulante Reha entlassen und sie konnte sich von ihrem Mann verabschieden, vielleicht auf Krücken, zur Not im Rollstuhl. Dann würde es Zeit werden,nach vorne zu blicken und ich hoffte, ihr dabei helfen zu können, wenn ich auch selbst noch nicht so recht wusste, wie es mit meinem eigenen Leben weitergehen sollte. Mit meinem Halbtagsjob würde ich mich auch nicht mehr lange über Wasser halten können, denn ich war, um über die Runden zu kommen, bereits an mein Erspartes gegangen. Karola hatte mir mitgeteilt, dass sie, wenn es ihr auch leid täte, neben Monika und Franka keine weitere Vollzeitkraft beschäftigen konnte. Ich würde mir einen zweiten oder gleich einen ganz neuen Job suchen müssen. Einige Bewerbungen hatte ich schon geschrieben, bisher aber nur Absagen erhalten. Ich überlegte gerade, dass ich mich nach Neujahr ans Telefon hängen würde, ein neuer Job musste her, und zwar bald, da meldete der Signalton meines Handys den Eingang einer SMS. Mechanisch zückte ich das Gerät, obwohl ich eigentlich auf keine Nachricht wartete oder überhaupt nur Interesse daran hatte, von jemandem zu hören. Ich prüfte trotzdem den Posteingang. Es waren zwei neue Nachrichten, den Eingang der ersten hatte ich wohl vorhin im Krankenhaus nicht mitbekommen. Mutter schrieb : Bist du noch bei Hedda? Feiert schön, ich sehe morgen wieder nach ihr. Wir müssen reden wegen der Trauerfeier. Ruf mich morgen an, Ursula.
    Die andere Nachricht war von meinem Ex : Komm gut ins neue Jahr. Tut mir leid wegen neulich. Bin in Gedanken bei euch. Ich ruf dich an. Daniel.
    Ich blinzelte . Weinen würde ich jetzt nicht, das wäre ja noch schöner und drückte mit dem Daumen auf löschen. Weg damit, was sollte ich mit seinen guten Wünschen? Eine Floskel war das, mehr nicht. Es hatte rein gar nichts zu bedeuten. Vielleicht würde ich eines Tages wieder freundlicher über Daniel denken können, vielleicht würden wir sogar so etwas Ähnliches wie Freunde sein können. Doch im Moment fühlte es sich nicht so an. Ich war immer noch verletzt und wütend und Daniel plagte vermutlich sein schlechtes Gewissen. Falls er denn eines hat, dachte ich gehässig und erhob mich. An der nächsten Haltestelle musste ich aussteigen und beschloss, meine Gedanken an Daniel mit dem Bus weiter zu schicken. Ich hatte jetzt eine eigene Wohnung, Daniel war Vergangenheit, ich musste endlich aufhören, an ihn zu denken. Beseelt von diesem guten Vorsatz war ich die Treppe in den vierten Stock hinauf geschnauft und hatte aufatmend die Wohnungstür hinter mir zugeknallt.
    Ich zog meine Jacke aus und stülpte sie über einen der überquellenden Garderobenhaken. Da ich in dieser Wohnung viel weniger Platz hatte als früher und auch noch nicht über den erforderlichen Schrankraum verfügte, hingen fast alle meine Jacken an den vier oder fünf Haken im Eingangsflur. Um meine Rippen zu schonen und mich nicht bücken zu müssen, streifte ich meine Stiefeletten ab, indem ich die eine Hacke gegen den anderen Fuß stützte. Dabei flog der eine Schuh ein Stückchen weiter an die Wand, der andere blieb ein Stück entfernt mitten im Flur liegen. Es kümmerte mich nicht. Ich konnte jetzt tun und lassen, was ich wollte. Bei Daniel und mir war immer alles pikobello gewesen, sehr durchgestylt, modern und aufgeräumt, denn Daniel… Verdammt, dachte ich, es hat wieder nicht geklappt, nicht mehr an ihn zu denken. Aus Trotz ließ ich den Korb ebenfalls im Flur stehen und ging in die Küche. Mein Magen knurrte. Jetzt bereute ich, vorhin im Krankenhaus nicht genug gegessen zu haben. Die besten Sachen hatte ich dort gelassen. Ich hätte mir ein paar Nudeln kochen können, eine warme Mahlzeit hätte mir sicher gut getan, aber ich verspürte nicht die geringste Lust, mich

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