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Nora Morgenroth: Die Gabe

Nora Morgenroth: Die Gabe

Titel: Nora Morgenroth: Die Gabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Michelsen
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stehe ich mitten in der Nacht vor deiner Tür. Aber wenn du mich abholst, freue ich mich. See ya!
    Also stand ich mit Luftschlangen behängt im Ankunftsterminal des Vallauer Flughafens, über meinem Kopf schwebte ein überdimensionaler Willkommen-Luftballon. Der Anschlussflug aus Amsterdam war längst gelandet. Eine automatische Schiebetür spuckte die Reisenden einzeln oder in kleinen Grüppchen aus. Endlich sah ich sie, Sybille Langenberg, meine beste Freundin, seit wir am ersten Tag der neu zusammengewürfelten siebten Klasse im Französischunterricht von Frau – Madame – Kirschner nebeneinander zu sitzen kamen, weil keine anderen Plätze mehr frei gewesen waren. Ob wir uns sonst wohl gefunden hätten? Nun, wir hatten und das war einer der wenigen glücklichen Umstände meiner gesamten schulischen Laufbahn gewesen. Über die im Laufe der Jahre wechselnden Liebschaften, gescheiterten Ehen und räumlichen Trennungen hinweg hatte diese Freundschaft überlebt. Als ich sah, wie Sybille sich mit dem Gepäckkarren und dessen eigensinnige Rollen abkämpfte , schossen mir die Tränen in die Augen.
    „Bille!“
    Ihr Kopf fuhr herum. Kaum hatte sie mich erspäht, ließ sie den Karren stehen und warf sich mit einem Freudenschrei in meine Arme. Wir lachten und weinten und als wir uns wieder beruhigt hatten, ließen wir das nutzlose Gefährt stehen und schleppten den großen Rucksack und zwei kleinere Taschen zum Parkplatz. In der ersten Viertelstunde redeten wir fast die ganze Zeit gleichzeitig, es gab einfach zu viel zu erzählen. Allzu schnell waren wir in Fried angekommen, dem kleinen Vorort von Erzfeld. Ich setzte meine lange vermisste Freundin bei ihren Eltern ab und fuhr weiter nach Hause. Wir hatten verabredet, dass Sybille mich am nächsten Tag besuchen würde, dann hatten wir noch genug Zeit zum Reden. Überhaupt hatten wir jetzt wieder alle Zeit der Welt. Ich war nun auch in der wirklichen Welt nicht mehr allein, meine Freundin und Vertraute war zurück.
    Was das andere betraf, so hatte ich noch einiges vorzubereiten. Der Termin, den ich mir vorgemerkt hatte, war in greifbare Nähe gerückt: Übermorgen, am Samstag, würde Stadtrat John van der Brelie, dem in der nächsten Bundesregierung durchaus ein Ministeramt zugetraut wurde, in der größten Buchhandlung der Stadt sein Buch vorstellen. Es trug den vielsagenden Tite l Immer bergau f und war für mich natürlich nebensächlich. Die Veranstaltung bot jedoch die vielleicht einmalige Chance, dem Mann persönlich zu begegnen, ihn wenigsten einmal live und aus der Nähe zu sehen. Was ich mir darüber hinaus konkret erhoffte, konnte ich nicht sagen. Ich würde versuchen, in seine Nähe zu kommen und von da an musste ich improvisieren. Von Fried aus fuhr ich in die Altstadt von Vallau und erreichte gerade noch rechtzeitig meinen Lieblingsfriseur für den vereinbarten Termin. Ich hatte das volle Programm gebucht. Tatjana, die mich schon seit Jahren bediente, ließ mich Platz nehmen und hörte sich an, was ich an Verwandlung wünschte.
    „Na gut, du wirst ja wissen, was du tust. Von mir aus, also los!“
    Knapp drei Stunden später verließ ich den Salon als letzte Kundin. Die Haare fielen mir nun in dunkelbraunen Wellen über die Schultern. Genau so hatte ich es haben wollen, auch wenn der erste Blick in den Spiegel mich zusammenzucken ließ. Ich sah aus wie Mutter in jüngeren Jahren, was genau das war, was ich mein ganzes Erwachsenenleben lang hatte vermeiden wollen. Tatjana und die exklusive Tönung mit dem verheißungsvollen Name n Very Dark & Sweet Chocolate Kis s hatten ganze Arbeit geleistet. Als ich Sybille am nächsten Nachmittag strahlend die Tür öffnete, sah sie mich entgeistert an, als hätte sie sich in der Tür geirrt.
    „Wow, wenn das mal keine Veränderung ist!“
    Bille küsste mich auf die Wange und schlüpfte in die Wohnung. Nachdem sie meine neue Behausung inspiziert hatte, die immer noch so aussah, als wäre ich gerade erst eingezogen, ließ sie sich auf mein Sofa fallen.
    „Ist schön hier, echt . Der Ausblick und dann die große Dachterrasse. Du hattest ja geschrieben, die Gegend ist nicht so toll und dass du überlegst, wieder auszuziehen, aber so schlimm ist es hier doch gar nicht, oder? Oder willst du immer noch raus? Man könnte meinen, du bist schon am Packen.“
    Sie ließ ihren Blick über die Kartons in den Ecken schweifen.
    „Und was ist jetzt mit Daniel, seht ihr euch noch? Echt, damit hätte ich nie gerechnet, ich meine, dass

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