Nora Roberts
als sich ihre Blicke über die Gläser hinweg trafen.
Genau in diesem Augenblick blieb für Jessica die Zeit stehen. Können Gedanken
miteinander kommunizieren?, überlegte sie wie betäubt. Waren es die Turbulenzen
seiner Gedanken, die sie gespürt hatte? Oder der ihren? Der Brandy floss heiß
und brennend durch ihre Kehle und holte sie in die Wirklichkeit zurück. Rede,
befahl sie sich. Sag etwas. »Haben Sie noch andere Verwandte?«, brachte sie
schließlich hervor.
Slade
starrte sie an, während er sich fragte, ob er sich diesen kurzen Moment
prickelnder Intimität nur eingebildet hatte. So etwas hatte er noch mit keiner
Frau oder Geliebten erlebt.
Deshalb war es nahezu lächerlich, sich einzubilden, es mit einer Frau erlebt zu
haben, die er kaum kannte. »Eine Schwester«, antwortete er nach einer Weile.
»Sie geht aufs College.«
»Eine
Schwester.« Jessica entspannte sich wieder und streifte die Schuhe ab. »Das
ist nett. Ich habe mir immer einen Bruder oder eine Schwester gewünscht, als
ich noch klein war.«
»Mit Geld
kann man nicht alles kaufen«, warf er achselzuckend in den Raum und verfluchte
sich sogleich für diese schroffe
Bemerkung, als er ihre verletzte Miene sah. Wenn sie ihm schon jetzt solche
Gefühle entlockte, wie mochte es dann erst in einer Woche sein?
»Sie sind
schnell mit Klischees bei der Hand«, bemerkte Jessica. »Ich nehme an, das
kommt, weil Sie Schriftsteller sind.« Sie nahm noch einen Schluck Brandy und
stellte dann das Glas ab. »Was schreiben Sie eigentlich?«
»Unveröffentlichte
Romane.«
Sie lachte
wie zuvor in der Bibliothek und entlockte ihm damit wieder ein Lächeln. »Das
muss frustrierend sein.«
»Nur ein Mal täglich.«
»Warum tun
Sie es dann?«
»Warum
essen Sie?«
Jessica
dachte einen Moment über seine Antwort nach und meinte dann nickend: »Ja,
wahrscheinlich ist es einfach so, nicht wahr? Wollten Sie schon immer
Schriftsteller werden?«
Er dachte
an seinen Vater, der überall mit stolzgeschwellter Brust verkündet hatte, dass
sein Sohn der nächste Sladerman in der
Truppe sein werden. Er dachte an seine Teenagerjahre, als er bis
spät in die Nacht hinein seine Geschichten auf Spiralblöcke gekritzelt hatte.
Er dachte an den Blick seines Vaters, als
er seinen Sohn zum ersten Mal in Uniform sah. Und er dachte an das erste Mal,
als eine seiner Kurzgeschichten veröffentlicht worden war.
»Ja.«
Vielleicht war es einfacher, ihr gegenüber zuzugeben, was er seiner Familie nie
hatte erklären können. »Immer.«
»Wenn man
etwas unbedingt will und nicht aufgibt«, begann Jessica langsam, »dann schafft
man es auch.«
Slade ließ
ein knappes Lachen hören, ehe er einen Schluck aus seinem Glas nahm. »Immer?«
Sie tippte
mit der Zungenspitze an ihre Oberlippe. »Fast immer. Es ist alles ein
Glücksspiel, nicht wahr?«
»Mit hohem
Einsatz«, murmelte er und stierte düster in sein Glas. »Ich spiele immer mit
hohen Einsätzen.« Er studierte die
bernsteinfarbene Flüssigkeit in seinem Glas, die beinahe die gleiche Farbe
hatte wie ihre Augen. Sie war eine verdammt gute Gesprächspartnerin, stellte
er fest, und er redete viel zu offen mit ihr.
»Ach,
Ulysses, ich hab' mich schon gewundert, wo du steckst.«
Slade
blickte auf und sah einen großen wuscheligen Fellberg vorbeiflitzen, zum
Sprung ansetzen und mitten auf Jessicas Schoß landen. Er hörte sie aufstöhnen
und dann kichern.
»Verdammt!
Wie oft muss ich dir noch erklären, dass du kein Schoßhündchen bist. Du brichst
mir alle Rippen.« Sie drehte den
Kopf zur Seite, doch die nasse, rosarote Hundezunge fand unfehlbar ihre Wange.
»Schluss!«, keuchte sie, seine Zärtlichkeiten erfolglos abwehrend. »Runter mit
dir«, befahl sie. »Geh sofort runter!« Ulysses bellte zwei Mal und leckte ihr
weiter seelenruhig das Gesicht ab.
»Was«,
fragte Slade, jedes Wort betonend, »ist das?«
Sie
versuchte Ulysses noch einmal mit aller Kraft von ihrem Schoß zu schieben,
doch der legte ihr nur treuherzig den Kopf auf die Schulter. »Ein Hund,
selbstverständlich.«
» > Selbstverständlich < heißt bei einem Hund gar nichts.«
»Ulysses
ist ein Großer Pyrenäenhund«, gab sie keuchend zurück. »In der Hundeschule ist
er drei Mal durchgefallen.
Du räudiger,
nichtsnutziger Trottel, runter mit dir!« Ulysses stieß einen langen,
zufriedenen Schnaufer aus und rührte sich nicht vom
Fleck. »Bitte, helfen Sie mir, mich von dieser Bestie zu befreien«, wandte sie
sich an Slade. »Diesmal hab' ich bestimmt
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