Nora Roberts
die Durchschläge der Verkaufsquittungen
abheftete. »Aber das ist nicht das, was ich will. Außerdem kauft nicht jeder
Kunde so großzügig ein. Diese
beiden Herren wissen genau, was ihnen gefällt, und haben eine entsprechend
dicke Brieftasche. Ich kann mich glücklich schätzen, dass sie sich vor einem
Jahr etwa entschlossen haben, bei mir einzukaufen.«
Jessica
beobachtete Slade dabei, wie er durch den Laden schlenderte, hier und dort eine
Schublade aufzog und schließlich vor einer Eckvitrine stehen blieb. Sie
enthielt eine Sammlung Porzellanfiguren.
»Entzückend,
nicht wahr?«, bemerkte sie und trat neben ihn.
Er hielt
ihr den Rücken zugewandt, obgleich das nicht verhinderte, dass der Duft, der von
ihr ausging, sich seinen Weg direkt in seine Nase und weiter in sein Gehirn
bahnte. »Hm, ja, sie sind hübsch.« Jessica biss sich instinktiv auf die Unterlippe.
Es geschah nicht oft, dass jemand Meißner Porzellan als hübsch bezeichnete.
»Meine Mutter liebt solche Figuren.«
»Diese hier
ist die schönste von allen, finde ich.« Jessica öffnete die Glastür und holte
eine kleine zierliche Schäferin heraus.
Slade
betrachtete die Porzellanfigur mit gerunzelter Stirn. »Sie hat bald
Geburtstag.«
»Und einen
aufmerksamen Sohn.« Ihre Augen strahlten, als sie ihn ansah.
»Wie
viel?«, erkundigte er sich, scheinbar ohne großes Interesse.
Jessica
fuhr sich mit der Zungenspitze über die Zähne. Auf zum Feilschen! Es gab
nichts, was sie lieber tat. »Zwanzig Dollar«, antwortete sie spontan.
Er lachte
kurz. »Ich bin nicht blöd, Jessica. Also, wie viel?«
Sie legte
den Kopf schräg, und plötzlich war die Trotzfalte zwischen ihren Brauen wieder
da. »Zweiundzwanzig-fünfzig. Das ist mein letztes Angebot.«
Slade lächelte
widerstrebend. »Sie sind verrückt.«
»Hopp oder
topp, die Entscheidung liegt bei Ihnen«, meinte sie achselzuckend. »Ihre
Mutter hat Geburtstag, nicht die meine.«
»Diese
Figur ist aber um ein Vielfaches mehr wert.«
»Für Ihre Mutter bestimmt«,
pflichtete ihm Jessica bei.
Frustriert
schob Slade die Hände in die Tasche und musterte die kleine Figur noch einmal
nachdenklich. »Fünfundzwanzig.«
»Verkauft.«
Ehe Slade es sich noch anders überlegen konnte, huschte Jessica mit der Figur
zur Theke, um sie zu verpacken.
Vorher kratzte sie noch schnell das Preisschild ab, das unter der Figur klebte
und warf es in den Papierkorb. »Soll ich sie gleich als Geschenk einpacken?«,
fragte sie. »Ist im Preis inbegriffen.«
Ohne Eile
trat er vor die Theke und sah Jessica dabei zu, wie sie die Figurine in eine
mit Seidenpapier ausgepolsterte Schachtel legte. »Warum?«
»Weil man
Geburtstagsgeschenke üblicherweise hübsch verpackt.«
»Das meine
ich nicht.« Er legte eine Hand auf die Schachtel, damit sie in ihrem Tun
innehielt. »Warum?«, wiederholte er.
Jessica
betrachtete ihn mit einem langen, nachdenklichen Blick. Er mochte
Gefälligkeiten nicht, schloss sie aus seinem Verhalten,
und akzeptierte diese nur, weil es dabei letztendlich um seine Mutter ging,
die ihm viel bedeutete. »Weil ich es so wollte.«
Er hob die
Brauen und sein Blick wurde auf einmal sehr intensiv. »Tun Sie immer genau
das, was Sie wollen?«
»Ich bemühe
mich darum. Tut das nicht jeder?«
Ehe er
darauf antworten konnte, ging wieder die Tür auf. »Eine Lieferung für Sie, Miss
Winslow.«
Slade
durchzuckte eine Art freudiger Erregung, als die Sendung abgeladen wurde.
Vielleicht, ja hoffentlich ergab sich
endlich etwas. Er wollte den Fall so schnell und so sauber wie möglich
abwickeln und nach Hause fahren ... solange er noch ein Mindestmaß an
Objektivität besaß. Jessica Winslow verstand es
meisterhaft, ihn von seiner eigentlichen Aufgabe abzulenken. Sie waren hier in
erster Linie nicht als Mann und Frau, und das durfte er nicht vergessen. Er war
ein Cop – und sie eine Verdächtige. Sein Job bestand darin, so viel wie möglich
herauszufinden, selbst wenn sich diese Beweise gegen sie richten sollten.
Während er unzählige Kisten entlud und dabei ihren
begeisterten Ausrufen lauschte, überlegte Slade, dass er selten jemandem
begegnet war, dem man so wenig eine Straftat zutrauen konnte. Aber das war nur
ein Gefühl, nur sein persönlicher Eindruck. Er brauchte Fakten.
Seine
gegenwärtige Position als Möbelpacker gab ihm Gelegenheit, jedes einzelne Stück
sorgfältig zu inspizieren. Und anstatt misstrauisch zu werden, war Jessica ihm
dankbar dafür, dass er ihr half, die Lieferung auf eventuelle
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