Nora Roberts
»Später, als ich durch Europa
reiste, gab es einen älteren Mann, er
war Franzose, sehr vornehm und gebildet. Ich war total weg
von ihm ... dann fand ich heraus, dass er verheiratet war und zwei Kinder
hatte.« Sie schüttelte den Kopf und schlang die
Arme fester um die Knie. »Danach traf ich einen Werbetexter.
Mein Gott, der wusste, wie man Worte richtig einsetzte. Das war kurz nach dem
Tod meines Vaters, und ich war damals
... völlig durch den Wind. Er lieh sich zehntausend Dollar
von mir und ward nie mehr gesehen. Seither habe ich mich nicht mehr mit einem
Mann eingelassen.« Sie stierte brütend
in die Wellen. »Ich wollte mir nicht wieder wehtun lassen, deshalb war ich
vorsichtig. Vielleicht zu vorsichtig.«
Er war
nicht sonderlich erbaut darüber, von ihren früheren Liebschaften zu hören,
zwang sich aber, ihr unvoreingenommen zu
lauschen. Als sie in Schweigen verfiel, setzte er sich neben sie. Eine ganze
Minute lang war nur das Donnern der Brandung und das Kreischen der Möwen zu
hören.
»Jess,
warum erzählst du mir das alles?«
»Vielleicht,
weil ich dich nicht kenne. Vielleicht, weil ich das Gefühl habe, dich schon
seit Jahren zu kennen.« Ihr Lachen klang ein wenig unsicher, als sie sich mit
der Hand durchs Haar fuhr. »Ich weiß es nicht.« Sie holte tief Luft und starrte
wieder geradeaus. »Michael hat mich gebeten, ihn zu heiraten.«
Ihre Worte
trafen ihn völlig unvorbereitet – wie ein Schlag ins Genick, der einen für den
Bruchteil einer Sekunde betäubt, ehe man das Bewusstsein verliert. Ganz
konzentriert nahm er eine Hand voll Sand und ließ ihn langsam durch die Finger
rieseln. »Und?«
»Und ich
weiß nicht, was ich machen soll!« Jetzt drehte sie sich wieder zu ihm hin.
Verzweiflung und Verwirrung flackerten in ihrem Blick. »Ich hasse diesen
Zustand der Ratlosigkeit.«
Mach dem
ein Ende, befahl er sich. Sag ihr, dass dich ihre Probleme nicht interessieren.
Doch die nächsten Worte waren ihm längst entschlüpft: »Wie stehst du zu
Michael?«
»Ich bin
abhängig von Michael«, begann sie hastig. »Er ist ein Teil meines Lebens. Er
ist wichtig für mich, sehr wichtig ...«
»Aber du
liebst ihn nicht«, führte Slade ihren Satz ruhig zu Ende. »Also solltest du
wissen, was du tun musst.«
»So einfach
ist das nicht«, entgegnete sie. Mit einem Laut der Verzweiflung machte sie
Anstalten aufzustehen, blieb dann aber still sitzen. »Er liebt mich. Ich möchte
ihn nicht verletzen und vielleicht ...«
»Vielleicht
solltest du ihn heiraten, um ihm nicht weh zu tun?«, ergänzte Slade mit einem
freudlosen Lachen. »Das wäre mehr als idiotisch.«
Wut wallte
in ihr auf und wurde rasch unterdrückt. Es war schwierig, in dieser Sache mit
Logik zu argumentieren. Sie fühlte sich eher elend als beleidigt, als sie den
Blick hob und einer Möwe hinterher sah, die flach über dem Wasser dahinsegelte.
»Ich weiß, dass es auf lange Sicht für uns beide schmerzlich wäre, wenn ich ihn
heirate, besonders wenn seine Gefühle für mich so tief sind, wie er glaubt.«
»Du bist
also nicht sicher, ob er dich wirklich liebt?«, murmelte Stade und überlegte
gleichzeitig, welche anderen Gründe Michael für diesen Entschluss haben
mochte.
»Ich bin
sicher, dass er glaubt, mich zu lieben«, gab Jessica zurück. »Ich dachte,
vielleicht, wenn wir ein Liebespaar werden ...«
»Du meine
Güte!« Er packte sie grob an den Schultern. »Spielst du etwa mit dem Gedanken,
ihm deinen Körper als eine Art Trostpreis anzubieten?«
»Hör
auf!« Sie machte
die Augen zu, damit sie den Spott in den seinen nicht mehr sah. »Das hört sich
aus deinem Mund so schmutzig an.«
»Was hast
du dir denn sonst zu diesem Problem überlegt?«, wollte er wissen.
Mit einer
für sie ganz untypischen hilflosen Geste warf sie die Hände in die Luft. »Meine
Erfahrung mit Männern ist nicht sehr umfangreich ... na ja, ich dachte, er
ändert vielleicht seine Meinung, wenn ich mir mit der Antwort nur genügend
Zeit lasse.«
»Schwachsinn!«,
knurrte Slade. »Sag einfach nein.«
»Das hört
sich so einfach an.«
»Du machst
es nur komplizierter, als es ist, Jess.«
»Wirklich?«
Für einen Moment ließ sie wieder die Stirn auf die Knie sinken. Stades Hand war
schon auf halbem Weg zu ihrem Kopf, als er sie ruckartig zurückzog. »Du bist so
selbstsicher, Stade. Und ich, ich werde zum Feigling, wenn es um Menschen
geht, die ich mag. Allein bei der Vorstellung, ihm meine Entscheidung ins
Gesicht zu sagen, könnte ich schon auf und
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