Nora Roberts
»Na komm, verrat mir schon, worum es geht.«
Slade
begann, sich Platz für seine Arbeit zu schaffen. »Es ist die
Geschichte einer Familie, beginnend in den Vierzigerjahren nach Kriegsende bis
hinein in unsere Zeit. Veränderungen, Anpassungen, Enttäuschungen, Siege.«
»Lass es
mich lesen«, bat sie ihn impulsiv. Seine geschriebenen Worte, wusste sie,
würden viel mehr von seinem Wesen enthüllen als seine gesprochenen.
»Es ist
noch nicht fertig.«
»Dann lese
ich eben das, was du bisher geschrieben hast.«
Um die
Antwort hinauszuzögern, blickte er sich suchend nach einem Bleistift um. Er
wollte, dass seine Bücher gelesen wurden. Es war ein Traum, dem er schon zu
viele Jahre nachhing. Aber mit Jessica war es etwas anderes; sie war nicht das
anonyme, gesichtslose Publikum. Ihre Meinung, positiv oder negativ, war ihm
viel zu wichtig. »Vielleicht«, raunte er. »Wenn du mir helfen willst, solltest
du dich besser hinsetzen.«
»Slade.«
Jessica schlang die Arme um seine Hüften und legte die Wange an seinen Rücken.
»Ich werde dich solange nerven, bis du Ja sagst. Darin bin ich großartig.«
Etwas an
dieser zwanglosen, intimen Umarmung berührte ihn bis ins tiefste Innere seiner
Seele. Ihre Brüste drückten leicht gegen seinen Rücken; ihre Hände umfassten
locker seine Hüften. In diesem Augenblick kapitulierte er vor der Liebe, die
er für sie empfand. Sie war intensiver als Verlangen, dringlicher als Begehren.
Sieht sie
denn nicht, dass ich ihr keinen Wunsch abschlagen kann?, dachte Slade, als er
seine Hände auf die ihren legte. Sieht sie denn nicht, welche Bedeutung sie
für mich bekommen hat, und das alles in wenigen Tagen? Wenn sie so tun konnten
– ihretwegen –, als lauerte keine Gefahr außerhalb dieser Mauern, konnten sie
vielleicht seinetwegen so tun, als gehörte sie ihm.
»Nerv
mich«, sagte er und drehte sich um, damit er sie in die Arme nehmen konnte.
»Aber ich warne dich, ich halte viel aus.«
Jessica
stellte sich auf die Zehenspitzen und hauchte ihm einen Kuss auf die Lippen.
»Ich kann nur hoffen, dass ich der Aufgabe gewachsen bin.« Den Kuss vertiefend,
ließ sie die Hände unter
sein Hemd gleiten und an seinem Rücken empor wandern.
»Das könnte
dir ein paar Seiten einbringen«, murmelte er. »Na, traust du dir ein ganzes
Kapitel zu?«
Sie fuhr
mit der Zungenspitze träge über seine Lippen und knabberte daran, indes sie mit
den Fingerspitzen an seiner Wirbelsäule entlangstrich. Sie spürte genau, dass
er auf ihre Zärtlichkeiten reagierte, und spürte ebenfalls seine Weigerung, es
ihr zu zeigen. »Feilschen ist meine Stärke«, säuselte sie an seinen Lippen. Sie
gab ihm einen langen, intensiven Kuss und wich zurück, als der Druck seiner
Lippen sich verstärkte. »Wie viele Kapitel hat dein Buch denn?«
Slade
schloss die Augen, um das Gefühl, verführt zu werden, so richtig auszukosten.
»Ungefähr fünfundzwanzig.«
»Hmmm.« Er
spürte, dass sie lächelte, als ihre Lippen sich wieder berührten. »Das kann ja
den ganzen Tag dauern.«
»Darauf
kannst du wetten.« Plötzlich schob er sie von sich weg und nahm ihr Gesicht in
beide Hände. »Wir können sofort mit den Verhandlungen anfangen, nachdem wir
mit unserem Arbeitspensum durch sind.«
»Oh.« Die
Zunge zwischen die Zähne geklemmt, ließ Jessica den Blick über die
Bücherstapel schweifen. »Nachdem?«
»Nachdem«,
sagte Slade mit fester Stimme und manövrierte sie sanft auf einen Stuhl. »Fang
an zu schreiben.«
Jessica
merkte kaum, wie die Stunden verstrichen – eine, zwei und drei. Er arbeitete
leise, systematisch und mit einer Engelsgeduld, die sie niemals aufbringen
könnte. Slade kannte sich in der Literatur sehr viel besser aus als sie.
Jessica sparte sich das Lesen für die seltenen Gelegenheiten auf, wenn ihre
körperliche Energie ihrer geistigen hinterherhinkte. Sie hatte Spaß an Büchern.
Er liebte sie. Diese kleine Erkenntnis bedeutete für Jessica einen weiteren
Schritt auf dem langen Weg, diesen Mann zu enträtseln.
Es war
leichter, ihn in der stillen Abgeschiedenheit der Bibliothek zum Reden zu
animieren. Hast du dieses Buch gelesen? Wie hat es dir gefallen? Und er
antwortete ihr, beiläufig und auch ausführlich, ohne seine Arbeit dabei zu
unterbrechen. Slade hätte ihrem Vater gefallen, dachte Jessica. Er hätte seine Klugheit
bewundert, seine Stärke und seinen Humor. Er hätte seine Anständigkeit, die
Güte und Freundlichkeit erkannt, die zu verbergen Slade sich solche Mühe
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