Nora Roberts
Explosion«, fuhr Slade fort, glücklich, wieder dieses leise
Kichern zu hören, das bis vor einen Tag so selbstverständlich zu Jessica gehört
hatte. »Ihr Lehrer war nicht sonderlich beeindruckt von ihrem Bericht über das
Verhalten instabiler Verbindungen.«
»Das kann
ich mir vorstellen«, meinte Jessica. »Auf welches College geht sie denn?«
»Princeton.
Sie bekommt ein halbes Stipendium.«
Und selbst
damit müssen die Schulgebühren sein Einkommen auffressen, überlegte sie. Wie
viel verdient wohl ein Cop? Nicht
genug, dachte sie sofort. Bei weitem nicht genug, um das Risiko aufzuwiegen,
das er jeden Tag eingeht. Vielleicht finanziert er mit seiner Schriftstellerei
die Ausbildung seiner Schwester. Jessica starrte in ihren kalten Kaffee und
überlegte, ob Janice Sladerman überhaupt bewusst war, welche Opfer ihr Bruder
für sie zu bringen bereit war.
»Du musst
sie sehr lieben«, murmelte sie, »und deine Mutter auch.«
Slade hob
eine Braue. Darüber hatte er noch nie nachgedacht. Es war einfach so. »Ja, das
tue ich. Die beiden haben es nicht leicht gehabt. Aber sie beklagen sich nie,
erwarten nichts.«
»Und du?«
Jessica sah von ihrer Tasse auf und musterte ihn mit einem langen, intensiven
Blick. »Wie hast du es geschafft, vor ihnen zu verbergen, was du wirklich
willst?« Sie spürte, wie er sich zurückzog und griff nach seiner Hand. »Du
willst unter allen Umständen vermeiden, dass irgendjemand merkt, was für ein
netter Mensch du bist, stimmt's, Slade? Passt nicht zu dem knallharten
Cop-Image, wie?« Sie grinste, zufrieden, ihn in Verlegenheit gebracht zu haben.
»Du erzählst mir lieber, wie du Verdächtige solange piesackst, bis sie darum
betteln, ein Geständnis ablegen zu dürfen.«
»Du hast zu
viele alte Filme gesehen.« Er verhakte seine Finger mit den ihren und zog sie
auf die Füße.
»Alte Filme
sind mein heimliches Laster«, gestand sie ihm. »Ich kann dir gar nicht sagen,
wie oft ich The Big Sleep gesehen habe.«
»Da geht es
um einen Privatdetektiv und nicht einen Cop«, stellte er richtig und führte sie
zurück in die Bibliothek.
»Und wo ist
da der Unterschied?«
»Wie viel
Zeit hast du?«, gab er grinsend zurück.
»Ach,
genügend.« Sie war froh, die Welt draußen für einige Augenblicke vergessen zu
können. »Es würde mich schon interessieren, warum die einen Bullen und die
anderen Schnüffler genannt werden.«
Slade blieb
stehen und warf ihr einen teils amüsierten, teils wütenden Blick zu. »Das sind
wirklich alte Filme«, entschied er.
»Klassiker«,
berichtigte sie. »Ich sehe sie mir nur wegen ihres kulturellen Werts an.«
Slade
runzelte die Stirn, eine Geste, wie Jessica inzwischen gelernt hatte, die bei
ihm für ein Dutzend Worte stand. »Wenn du mir unbedingt helfen willst, kannst
du das Katalogisieren übernehmen.« Er deutete auf die Bücherstapel auf dem Arbeitstisch.
»Deine Handschrift ist bestimmt leserlicher als meine.«
»Wird
gemacht.« Glücklich, eine Aufgabe zu haben, nahm Jessica die oberste
Karteikarte von einem ordentlich aufgeschichteten Stapel. »Ich nehme an, du
willst das Stichwortverzeichnis mit Verweisen und Querverweisen und allem Drum
und Dran bestückt haben.«
»Ja, so
ungefähr.«
»Siade.«
Sie legte die Karte zurück, ehe sie sich zu ihm umdrehte. »Wahrscheinlich
würdest du lieber an deinem Buch schreiben, als hier Ordnung zu schaffen. Warum
nimmst du dir nicht ein paar Stunden für dich?«
Er dachte
an seinen Roman, der beinahe fertig war und oben auf dem Schreibtisch auf ihn
wartete. Dann dachte er daran, wie Jessica ausgesehen hatte, als sie vor einer
Stunde in die Bibliothek gekommen war.
»Dieses
Chaos macht mich verrückt«, erklärte er. »Solange ich hier bin, wäre es
sinnvoll, dich auf den richtigen Weg zu bringen. Wie viele Bücher stehen hier
herum?«, fragte er sie, ehe sie noch einen anderen Einwand vorbringen konnte.
Momentan
abgelenkt, sah sie sich um. »Ich habe nicht die geringste Ahnung. Die meisten
Bücher hier gehörten meinem Vater. Er las für sein Leben gern.« Ein Lächeln
spielte um ihre Mundwinkel und zeigte sich auch in ihren Augen. »Sein Geschmack
war breit gefächert, um es milde auszudrücken, aber ich glaube, er hatte ein
Faible für Krimis.« Plötzlich fiel ihr etwas ein. »Ich weiß immer noch nicht,
worum es in deinem Buch überhaupt geht. Ist es ein Kriminalroman?«
»Das, an
dem ich gerade arbeite?« Er grinste. »Nein.«
»Hm.« Sie lehnte sich mit der
Hüfte an die Tischkante.
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