Nora Roberts
lautete: kein persönliches Engagement.
Bei diesem
Gedanken hätte Slade beinahe laut gelacht. Zum Teufel mit Regel Nummer eins,
beschloss er und fuhr sich durchs Haar. Könnte sein Engagement überhaupt noch
persönlicher sein? Er war in sie verliebt und inzwischen auch ihr Geliebter
geworden. Der nächste logische Schritt in Richtung persönliches Engagement
würde aufs Heiraten und Kinderkriegen hinauslaufen.
Dieser
Schluss versetzte ihm einen Schock. Er konnte nicht zulassen, dass seine
Gedanken in eine solche Richtung abdrif teten. Er war nicht für sie bestimmt.
Sobald die Ermittlungen abgeschlossen waren, würden sich ihre Wege wieder trennen.
Das war es auch, was er eigentlich wollte, sagte er sich, doch dieser Gedanke
machte seinen Blick nicht freundlicher. Er hatte genug damit zu tun, sich um
sein eigenes Leben zu kümmern – die Anforderungen seines Berufs, seine
Verpflichtungen, seine Schriftstellerei. Und selbst wenn in seinem Leben noch
Raum für eine Frau wäre – ihre Wege liefen in verschiedenen Richtungen. Sie
würden sich nicht wieder begegnen. Nur der Zufall hatte sie dieses eine Mal
zusammengeführt und umständehalber eine Intimität zwischen ihnen
hervorgerufen, die zu dieser gefühlsmäßigen Verbundenheit geführt hatte. Er
würde darüber hinwegkommen. Er knetete den Nasenrücken mit Daumen und
Zeigefinger. Oder auch nicht.
War es
einem Mann denn nicht erlaubt, ein paar Träumen nachzuhängen, wenn er allein im
Dunkeln in einem Raum saß, der nach Bienenwachs und Herbstlaub roch? War es ihm
nicht gestattet, sich eine Zukunft auszumalen mit der Frau, die währenddessen
weich und warm in seinem Bett lag? Er hatte doch verdammt noch mal das Recht
auf ein paar egoistische Gedanken, oder etwa nicht? Mit einem leisen Seufzer
lehnte er sich tiefer in den Sessel. Der Mann hatte vielleicht das Recht, nicht
aber der Cop. Und Jessica, ermahnte er sich, brauchte im Augenblick den Cop
nötiger, ob sie es nun glaubte oder nicht.
Slade
blendete weitere Gedankengänge dieser Art aus und verbrachte beinahe drei
Stunden wartend in seinem Sessel. Dann wusste er instinktiv, dass er nur seine
Zeit verschwendete. Und er brauchte dringend ein paar Stunden Schlaf, um so
fit zu sein, dass er für Jessicas Sicherheit garantieren und sie den nächsten
Tag über beschäftigten konnte. Steif vom langen Sitzen rollte er abwesend die
Schultern, als er lautlos durch die Halle zur Treppe ging. Ein Tag noch,
allerhöchstens zwei – falls Agent Brewster der Lösung des Falles so nahe war,
wie er Slade hatte glauben lassen.
Kaum hatten
sich seine Muskeln ein wenig entspannt, überfiel ihn eine bleierne Müdigkeit.
Vier Stunden Schlaf mussten
reichen, um Kräfte zu sammeln – er war schon mit weniger ausgekommen. Leise
drehte er den Türknauf seiner Schlafzimmertür.
Jessica saß
mitten im Bett, mit angezogenen Beinen, die Arme um die Unterschenkel
geschlungen, die Stirn auf die Knie gestützt. Sie atmete tief und keuchend wie
eine Ertrinkende, die nach Luft ringt. Der Mond tauchte die zitternde Gestalt
in sein fahles Licht.
»Jess?«
In ihrer
Kehle formte sich ein Schrei. Als ihr Kopf in die Höhe schnellte, sah Slade den
gehetzten Ausdruck der Panik in ihren Augen, ehe sie ihren Blick auf ihn
richtete. Sie konnte den Schrei zurückhalten, indem sie sich fest auf die
Lippen biss, doch das Zittern konnte sie nicht abstellen. Mit drei großen
Schritten war Slade bei ihr. Ihre Haut fühlte sich klamm an, als er die Hände
auf ihre Schultern legte. Auf ihrem Gesicht glänzte eine Mischung aus Tränen
und Angstschweiß. Jemand hatte sich an ihm vorbei in ihr Zimmer geschlichen,
schoss es ihm durch den Kopf, doch im nächsten Moment verwarf er diesen
Gedanken.
»Was ist
los?«, fragte er sie. »Was ist passiert?«
»Nichts.«
Verzweifelt versuchte sie gegen das Zittern anzukämpfen. Der Albtraum war
zurückgekehrt, so grauenhaft lebendig, dass sie sich nicht dagegen wehren
konnte. Eiskalter Wind, der Geruch salziger Gischt, das Dröhnen der Brandung –
hinter ihr das Geräusch schwerer Schritte im Sand, die sie verfolgten,
umherhuschende Schatten, wenn sich eine Wolke vor die Sonne schob, der
metallene Geschmack der Angst auf ihrer Zunge. Und schlimmer noch, viel
schlimmer, sie hatte panische Angst davor, sich umzudrehen und in ihrem
Verfolger einen Menschen zu erblicken, den sie liebte.
»Ich bin
aufgewacht«, brachte sie mühsam heraus. »Wahrscheinlich bin ich in Panik
geraten, als du nicht da warst.« Das
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