Nora Roberts
bevorstehenden Morgendämmerung an, als auch sie endlich einschlief.
Das
Schrillen des
Telefons riss ihn aus einem unruhigen Schlaf. Schweißtropfen perlten auf seiner
Stirn, als er nach dem Hörer griff. Er fürchtete sich davor, abzuheben, aber
noch mehr davor, nicht abzuheben. »Ja, hallo.«
»Ihre Zeit
ist abgelaufen.«
»Ich
brauche noch etwas Zeit«, sagte er schnell. Wissend, dass Schwäche nicht
geduldet wurde, schluckte er das Zittern in seiner Stimme hinunter. »Nur ein paar
Tage ... Es ist nicht leicht, dranzukommen, solange das Haus voller Menschen
ist.«
»Muss ich
Sie daran erinnern, dass Sie nicht dafür bezahlt werden, nur das zu tun, was
Ihnen leicht fällt?«
»Ich hab es
gestern Nacht versucht ... und bin beinahe erwischt worden.«
»Dann waren
Sie unvorsichtig. Und für Unvorsichtigkeit habe ich kein Verständnis.«
Für
Unvorsichtigkeit noch weniger äls für Schwäche, dachte er bei sich und leckte
sich die staubtrockenen Lippen. »Jessica – Jessica fühlt sich nicht wohl.« Er
griff nach seinen Zigaretten, um seine flatternden Nerven zu beruhigen. Er
musste schnell und besonnen denken, wenn er am Leben bleiben wollte. »Sie wird
auch nicht in den Laden gehen. Aber in ein paar Tagen sollte ich sie dazu
überreden können, übers Wochenende wegzufahren und einmal richtig
auszuspannen. Sie wird auf mich hören.« Er nahm einen tiefen Zug von der Zigarette
und betete im Stillen, dass er die Wahrheit sprach. »Wenn sie nicht im Haus
ist, kann ich die Diamanten an mich nehmen, ohne ein Risiko einzugehen.« Auf
seiner Oberlippe lag ein feuchter Schweißfilm, den er sich mit dem Handrücken
abwischte. »Kommendes Wochenende haben Sie die Steine. Ein paar Tage spielen
doch keine Rolle, oder?«
Das eisige
Seufzen am anderen Ende der Leitung ließ ihm das Blut in
den Adern gefrieren. »Sie irren sich schon wieder – Sie machen zu viele Fehler,
mein junger Freund. Erinnern Sie sich an meinen Partner in Paris? Der hat auch
einen Fehler gemacht.«
Seine
schweißnasse Hand klammerte sich fester um den Hörer. Natürlich erinnerte er
sich an den Mann, den man tot in der Seine treibend gefunden hatte. »Heute
Nacht«, flüsterte er in seiner Verzweiflung. »Ich besorge sie Ihnen noch heute
Nacht.«
»Wir sehen
uns morgen Früh um Punkt zehn Uhr im Laden.« Er machte eine Pause, um sicher
zu gehen, dass die Waffe Angst ihren Zweck erfüllt hatte. Das leise, keuchende
Schnaufen des Mannes stellte ihn zufrieden. »Wenn Sie diesmal versagen, werde
ich mich nicht mehr so ... verständnisvoll zeigen. Sie haben gute Arbeit
geleistet, seit Sie in meinen Diensten stehen. Ich würde Sie nur ungern
verlieren.«
»Ich werde
Ihnen die Steine besorgen. Aber danach will ich ... aussteigen.«
»Darüber
unterhalten wir uns später. Zehn Uhr.« Mit einem leisen Klicken brach die
Verbindung ab.
9
Slades Verstand und Körper erwachten im
selben Augenblick. Langsam wach zu werden war ein Luxus, den er sich schon seit
vielen Jahren nicht mehr leisten konnte. Er hatte sich einen kurzen, leichten
Schlaf antrainieren müssen, und die Fähigkeit, ebenso schnell aufzuwachen, um
sofort zu funktionieren. Er sehnte sich danach, eines Tages mit dieser
Angewohnheit brechen zu können, obwohl er nicht wirklich glaubte, dass es
jemals dazu kommen würde.
Am Stand
der Sonne konnte er ablesen, dass es noch früh am Morgen war, dennoch warf er
einen Blick auf die Kaminuhr. Kurz nach sieben. Die vier Stunden Schlaf hatten
ausgereicht; er fühlte sich einigermaßen fit.
Er drehte
sich um und sah auf Jessica herab. Beim Anblick der bläulichen Ringe unter
ihren Augen runzelte er unwillkürlich die Stirn. Obwohl sie nach seinen
Berechnungen gute acht Stunden geschlafen hatte, schienen die Schatten noch
dunkler zu sein als am Tag zuvor. Heute würde er dafür sorgen, dass sie sich
wirklich ausruhte – und wenn er ihr eine Schlaftablette in den Kaffee
schmuggeln müsste. Und sie würde anständig essen – notfalls würde er sie mit
Gewalt füttern. Er konnte geradezu spüren, wie die Pfunde von ihren Knochen
schmolzen.
Obwohl er
ganz vorsichtig von ihr abrückte, klammerte sich ihre Hand sogleich fester um
seinen Arm. Ihre Lider flogen auf. »Schlaf noch ein bisschen«, flüsterte er
ihr zu und küsste sie zart auf die Lippen.
»Wie spät
ist es?« Ihre Stimme klang rau und verschlafen, doch ihre Hand gab seinen Arm
nicht frei.
»Noch früh.«
Jessica
entspannte sich, Muskel für Muskel, ließ ihn aber nicht los. »Wie
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