Nora Roberts
»Ach, David, ich kenne
ihn besser, als du glaubst«, versetzte sie und strich, in sich hineinlächelnd,
ihr Haar zurück.
»Warum
lässt du mich nicht ein paar Nachforschungen über ihn anstellen. Vielleicht
finde ich ja etwa ...«
»Nein!«,
fiel ihm Jessica eilig ins Wort. »Kommt nicht in Frage, David, das erlaube ich
nicht. Slade ist meine Angelegenheit.«
»Ach, wie
dieser miese Typ aus der Madison Avenue, der dich um zehntausend Dollar
erleichtert hat?«, murmelte er.
Jessica
drehte sich um und verbarg das Gesicht in den Händen. Es war schon merkwürdig,
dachte sie. Eigentlich hätte sie darüber lachen müssen. Die zwei wichtigsten
Menschen in ihrem Leben warnten sie eindringlich voreinander.
»He,
Jessica, es tut mir Leid.« Linkisch tätschelte David ihr nasses Haar. »Das war
eine blöde Bemerkung. Ich nehme sie zurück, aber ... ja, sei einfach
vorsichtig, okay?« David trat verlegen von einem Fuß auf den anderen und
wunderte sich, warum sie plötzlich so gefühlsduselig wurde. »Du fängst doch
jetzt nicht etwa an zu heulen, oder?«
»Nein.« Die
Frage entlockte ihr ein kleines Schmunzeln. Er klang so misstrauisch wie
damals, als er zwölf war und sie nach einem Streit mit ihrem damaligen Freund
nach Hause gekommen war. In diesem Augenblick stand Loyalität an erster
Stelle. »David ...« Jessica wandte sich wieder um, legte ihm die Hände auf die
Schultern und sah ihm durch die Brillengläser hindurch tief in die Augen.
»Wenn du in Schwierigkeiten stecktest – absichtlich oder unabsichtlich einen
Fehler gemacht hättest, einen ganz schweren Fehler –, würdest du mir davon
erzählen?«
Er kniff
leicht die Augen zusammen, ob aus Neugier oder Schuldbewusstsein, das wusste
sie nicht. »Weiß ich nicht. Ich glaube, es käme darauf an.«
»Was du
getan hast, würde keine Rolle spielen, David. Ich stehe immer auf deiner
Seite.«
Ihr Tonfall
war so ernst, dass David unbehaglich die dünnen Schultern zuckte und gespielt
leichtfertig erklärte: »Gut, ich werde dich daran erinnern, wenn du mir das
nächste Mal Vorhaltungen
wegen irgendeinem Fehler in der Buchhaltung machst. Aber Jessie, du siehst
wirklich nicht gut aus. Du solltest demnächst mal für ein paar Tage wegfahren
und richtig ausspannen.«
»Kein Grund
zur Panik«, wiegelte sie ab, doch um einem Streit vorzubeugen, setzte sie rasch
hinzu: »Aber ich werde darüber nachdenken.«
»Gut. Ich
muss jetzt gehen. Habe Michael versprochen, heute Morgen den Laden
aufzusperren.« Er gab ihr einen schnellen Kuss auf die Wange. »Verzeih mir,
wenn ich vorhin ein bisschen grob war. Aber ich denke immer noch ...« Zögernd
hob er wieder die Schultern. »Ach, jeder von uns muss seine Angelegenheiten so
regeln, wie er es für richtig hält.«
»Ja«,
murmelte sie, als David zur Tür ging. »Ja, das stimmt. Ach, David ... wenn du
oder Michael, wenn ihr Geld braucht ...«
»Bekommen
wir eine Gehaltserhöhung?«, fragte er grinsend, die Hand bereits auf dem
Türknauf.
Jessica
zwang ein Lächeln auf ihr Gesicht und griff wieder nach dem Kamm. »Darüber
unterhalten wir uns, wenn ich wieder im Laden bin.«
»Hoffentlich
ist das bald«, rief er über die Schulter hinweg und war verschwunden.
Jessica
starrte die geschlossene Tür an, dann den Kamm in ihrer Hand, und schleuderte
ihn in einem plötzlichen Anfall von Wut durchs Zimmer. Mein Gott, was hatte sie
getan! David ausgequetscht, teilweise in der Hoffnung, er würde gestehen,
damit endlich Schluss mit dieser Geschichte wäre. Sie hatte ihn genau
beobachtet und nach Anzeichen für seine Schuld gespechtet. Und sie würde das
Gleiche mit Michael tun. Ihr Mangel an Vertrauen erschreckte sie.
Sie ließ
sich auf den Stuhl vor ihrer Frisierkommode fallen und starrte ihr Spiegelbild
an. Es war irgendwie nicht richtig, so misstrauisch zu sein, sich den beiden
Menschen derart zu entfremden, denen sie sich bisher am nächsten gefühlt hatte.
Sie
unterzog ihr Gesicht einer langen, intensiven Musterung. Ihr Haar war nass und
ringelte sich um ihr unnatürlich blasses Gesicht, in dem die Schatten unter den
Augen umso deutlicher
hervortraten. Sie sah fix und fertig aus. Aber dagegen ließ sich mit einfachen
Mitteln etwas unternehmen. Sie richtete sich auf und tupfte Make-up auf die
dunklen Augenringe. Wenn sie nur noch die Illusion von Stärke besaß, musste
sie das Beste daraus machen.
Als das
Telefon klingelte, erschrak sie so, dass sie eine kleine chinesische Vase
umstieß. Frustriert betrachtete sie die
Weitere Kostenlose Bücher