Nora Roberts
weg?«
»Keine
Ahnung. Ich habe keine Uhr dabei.« Er legte das Buch zur Seite. »Es muss dir
aber nicht Leid tun. Ich habe das, was ich haben wollte.«
Sie bemühte
sich, den Kopf wieder klar zu bekommen und warf einen Blick zu der Staffelei
hinüber. Aber sie stand so, dass sie die Vorderseite der Leinwand nicht sehen
konnte. »Bist du fertig?«
»Nein, aber
ich habe einen teuflisch guten Anfang hin bekommen. Auch ohne Uhr sagt mir
mein knurrender Magen, dass es Zeit fürs Mittagessen ist.« Er öffnete den
Deckel einer Kühlbox.
»Du hast
ein echtes Picknick mitgebracht?«
»Den Korb
für die Kunst, die Kühlbox aus praktischen Gründen. Es gibt Brot, Käse,
Weintrauben und etwas von einer Pastete, auf die Phil schwört.« Er zog zwei
Teller hervor. »Und auch wenn ich mich dafür erniedrigen und darum betteln
musste, ein wenig von Annas Nudelsalat. Und diesen wundervollen Wein, den ich
in Venedig entdeckt habe. Er heißt > Träume < . Scheint ja zu passen.«
»Du
versuchst ein Rendezvous aus der Situation zu machen«, sagte Dru misstrauisch.
»Zu spät.«
Seth goss ein Glas Wein ein und reichte es ihr. »Es ist bereits ein Rendezvous.
Ich würde übrigens gern wissen, warum du gestern so schnell aus der Werkstatt
verschwunden bist.«
»Ich hatte
alles erledigt, weshalb ich gekommen war.« Sie nahm sich eine Weintraube und
steckte sie in den Mund. »Und ich musste wieder zurück in den Laden.«
»Du willst
also ein Boot kaufen?«
»Ja, das
möchte ich. Ich segele gern.«
»Dann komm
einmal mit mir raus aufs Wasser. Auf diese Weise kannst du auch gleich
feststellen, wie seetüchtig ein Boot von den Quinn-Brüdern ist.«
»Ich werde
darüber nachdenken.« Sie probierte die Pastete und gab einen kleinen
zufriedenen Laut von sich, der in Seths Ohren sehr erotisch klang. »Dein Bruder
Phillip hat einen hervorragenden Geschmack. Deine Brüder sind so verschieden,
und dennoch erscheinen sie mir wie eine untrennbare Einheit.«
»So ist das
eben in einer Familie.«
»Meinst du
wirklich? Meiner Erfahrung nach trifft das auf die wenigsten Familien zu. Deine
ist diesbezüglich schon
ziemlich einzigartig. – Warum hast du eigentlich keine Narben davongetragen?«
Er war
gerade damit beschäftigt, den Nudelsalat auf Teller zu verteilen und blickte
fragend zu ihr auf. »Wie meinst du das?«
»In den
Artikeln, die ich über dich gelesen habe, wurde immer mal wieder angesprochen,
dass du eine sehr schwere Kindheit hattest, und es ist mir auch hier in St.
Chris schon zu Ohren gekommen. Außerdem hast du es mir ja auch selbst erzählt.
Wie steht man so etwas durch, ohne seelische Narben davonzutragen?«
Die
Zeitschriftenartikel haben nicht einmal an der Oberfläche gekratzt, dachte
Seth. Sie wussten nichts von dem kleinen Jungen, der sich mehr als einmal vor
den zudringlichen Händen der betrunkenen Männer hatte verstecken müssen.
Sie wussten
nichts von den Schlägen, den Erpressungen und der Angst, die immer noch wie
eine Pfeilspitze in seinem Herzen steckte.
»Die Quinns
haben mich gerettet.« Seth sprach die Worte auf eine so schlichte, ehrliche
Weise aus, dass es Dru die Kehle zuschnürte. »Es ist keine Übertreibung zu
behaupten, dass sie mir das Leben gerettet haben. Erst Ray Quinn, dann Cam und
Ethan und Phil. Sie haben ihre Welt für mich auf den Kopf gestellt und damit
zugleich auch die meine. Genauso wie Anna und Grace und Sybill und auch Aubrey.
Sie alle haben für mich ein Heim geschaffen und nichts, was vorher geschehen
war, bedeutet auch nur annähernd so viel wie das, was danach kam.«
Seine Worte
bewegten Dru auf eine unaussprechliche Weise. Sie beugte sich vor und berührte
seine Lippen mit den ihren. »Das ist dafür, dass du es geschafft hast, dass ich
dich mag. Du bist ein guter Mann. Ich weiß nur noch nicht so recht, was ich mit
dir anfangen soll.«
»Du
könntest einfach damit beginnen, mir zu vertrauen.«
»Nein.« Sie
lehnte sich wieder zurück und brach sich ein Stück Brot ab. »Mit Vertrauen kann
man nicht beginnen. Vertrauen entwickelt sich, es muss wachsen. Und bei mir
könnte dieser Prozess eine ganz beachtliche Zeit in Anspruch nehmen.«
»Ich kann
dir garantieren, dass ich nicht so bin wie der Kerl, mit dem du verlobt warst.«
Seth sah, wie sie sich unwillkürlich versteifte und zuckte mit den Schultern.
»Ich bin nicht der Einzige, über den geschrieben oder geredet wird.«
Und als sie
über sehr private Dinge aus seinem Leben geredet haben, ist er auch nicht
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