Nora Roberts
Position zu entwickeln. Ich wollte aber kein
Verständnis für sie haben. Ich ziehe es vor, sie zu verachten.«
»Ja, klar.«
Das verstand sich für Aubrey von selbst. »Aber Sie müssen sich wirklich keine
Sorgen machen. Seth gehört Ihnen. Sind wir uns da einig?«
»Ja. Ja,
das sind wir. Und ich bin Ihnen wirklich sehr dankbar, dass Sie hergekommen
sind, um mit mir zu reden und mir keinen auf die Nase verpasst haben.«
»Das hätte
Seth auch bestimmt nicht gefallen – von meinen Eltern ganz zu schweigen. Ich
glaube, ich sollte mich jetzt langsam auf den Weg machen.«
»Ich
schließe nicht so leicht Freundschaften, Aubrey. Es gehört nicht gerade zu
meinen Talenten. Ich bin großartig darin, Bekanntschaften zu machen, und ich
bin eine Meisterin in oberflächlicher und höflicher Konversation. Aber ich
habe nicht viele Freunde.«
Dru atmete
tief durch. »Ich wollte heute ein wenig früher schließen. Ich brauche nur ein
paar Minuten, um zuzumachen. Sind Sie sehr in Eile, oder hätten Sie Lust, etwas
mit mir zu trinken?«
In diesem
Moment befürchtete Aubrey, dass Seth niemals mit der Verletzlichkeit und den
verborgenen Bedürfnissen fertig werden würde, die unter der geschliffenen
Oberfläche dieser Frau versteckt lagen. »Haben Sie eine gute Flasche Wein bei
sich zu Hause?«
»Ja.« Drus
Mundwinkel wanderten in die Höhe.
»Schön,
dann werde ich mich mal nach Hause schwingen und einen kleinen Abstecher unter
die Dusche machen. Wir treffen uns dann bei Ihnen. Aber nur unter einer
Bedingung: von jetzt an duzen wir uns!«
Dru nickte
und strahlte Aubrey an.
Vom
Fenster seines Ateliers
aus beobachtete Seth, wie Aubrey zu ihrem Pick-up zurückmarschierte. Er hatte
sie schon vor einer halben Stunde kommen sehen. Und auch wenn er von dort oben
nicht in der Lage gewesen war, ihr ins Gesicht zu schauen, so war ihre
Körpersprache doch eindeutig gewesen.
Sie hätte
nichts gegen eine kleine Schlägerei einzuwenden gehabt.
Trotzdem
war er nicht hinuntergegangen. Bis er sich mit Gloria getroffen und diese ganze
Angelegenheit wieder irgendwo tief in seinem Inneren weggeschlossen hatte,
wollte er Abstand zu seiner Familie halten.
Aber er
hatte gelauscht, ob Schreie oder zerbrechendes Glas zu hören waren. Wäre es so
weit gekommen, hätte er sich sofort nach unten begeben und wäre dazwischengegangen.
Aber nichts
dergleichen geschah. Er beobachtete, wie Aubrey behände in ihren Wagen
kletterte und in gemessenem Tempo davonfuhr.
Scheinbar
eine Sorge weniger, dachte er, als er in die Küche ging, um einen Blick auf die
Uhr am Herd zu werfen. Nur noch gut fünf Stunden, dann würde er sich mit
Gloria treffen und ihr das Geld geben, das er von seinem Konto abgehoben hatte.
Und
anschließend würde er wieder in seinen Alltag zurückkehren.
Dru war
gerade erst nach Hause gekommen, als Aubreys Wagen auch schon auf der Auffahrt
hielt. Also hatte sie keine Zeit mehr, um Cracker und Käse bereitzustellen, wie
sie es geplant hatte, oder um die dicken, roten Trauben zu waschen, die sie
auf dem Nachhauseweg gekauft hatte.
Ganz
gleich, wie zwanglos die Einladung auch sein mochte, Dru war an gewisse
Umgangsformen gewöhnt, wenn sie Besuch empfing. Für sie war es neu, dass ein
Gast zur Tür hereinmarschiert kam, ihr eine braune Tüte in die Hand drückte und
sich dann pfeifend umblickte.
»Cool.
Könnte glatt aufs Titelblatt von House 8e Garden.« Aubrey warf Dru ein
freches Grinsen zu. »Nichts für ungut. Mann, das wäre was für meine Mutter. Die
ist schon so lange scharf darauf, hier mal einen Blick reinzuwerfen. Hast du
eine Putzfrau?«, fragte sie und fuhr mit dem Finger über eine Tischplatte. Kein
Staub.
»Nein. Ich
wohne ja allein hier und ...«
»Solltest
du aber, schließlich bist du eine berufstätige Frau. Mom könnte dir die ganze
Leier erzählen. Ist ja ein riesiger Schuppen.« Aubrey begann ohne Einladung im
Haus herumzuwandern, während Dru die Tüte fest hielt. »Ich möchte später auch
so was Großes haben, wenn ich von Zuhause ausziehe. Etwas zum Verlaufen,
verstehst du? Mal eine Abwechslung zu dem Taubenschlag, in dem ich jetzt lebe.
Aber dann würde ich bestimmt schnell einsam werden und alle ganz schrecklich
vermissen und sowieso die Hälfte der Zeit daheim verbringen.«
Sie blickte
nach oben. »Hohe Decken«, lautete ihr Kommentar. »Es muss dich ja im Winter
eine ganz schöne Stange Geld kosten, zu heizen.«
»Würdest du
gern die Rechnungen sehen?«, erkundigte sich Dru trocken und brachte
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