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Noras Erziehung

Noras Erziehung

Titel: Noras Erziehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monica Belle
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Kombination aus Humor und Argumenten hatte das Publikum überzeugt und etwa bei der Hälfte der Anwesenden für zustimmendes Kopfnicken gesorgt. Unser Glück war es, dass Dr.   McLean doch noch etwas geschickter war und seine Thesen mit genau der klaren, autoritären Stimme vorgetragen hatte, die einen nicht mal an Widerspruch denken ließ. Seine große Überzeugungskraft machte die Auseinandersetzung nicht nur für mich, sondern auch für alle anderen noch spannender. Dabei betrachtete er die Debatte eher als eine Übung in Logik und nicht unbedingt als Gelegenheit, für seine Ansichten zu werben.
    Als er das Rednerpult verließ, war ich ganz sicher, dass wir den Sieg schon in der Tasche hätten. Dennoch war ich äußerst nervös, als die anderen Redner einer nach dem anderen ihre Thesen vortrugen. Der Mann, der Giles’ Standpunkt befürwortet hatte, war ein ziemlicher Clown. Er redete offenbar nur für seine Freunde im Publikum und richtete damit mehr Schaden an, als dass er seiner Gruppe etwas nutzte. Susan wiederum war zu leise und schüchtern. Ihre Rede langweilte das Publikum, und die dadurch entstandene Unruhe legte sich erst wieder, als die einzige Frau in Giles’ Team sich zu Wort meldete. Sie war sehr gut, reagierte mit klarer, ernster Stimme auf Susans Argumente,war aber eindeutig zu angewidert von der Vorstellung, irgendjemand außer dem Staat könnte irgendetwas leiten. Ihre Argumentation war also lückenhaft, und ich machte mir hektisch Notizen, um noch einige Elemente des Kapitalismus-Ansatzes in meine Rede aufzunehmen.
    Mein Magen rebellierte, während sie ihren Platz wieder einnahm, und ich war froh, dass ich das Podium ohne irgendwelche peinlichen Stolperer erreichte. Als ich dann oben stand, fiel mir das Ganze erstaunlich leicht. Es war eigentlich kein großer Unterschied zu den Reden, die ich vor der Schülerversammlung gehalten hatte. Wenn einen gut vierhundert Leute anschauen, scheinen sie irgendwann zu einer einzigen Person zu verschmelzen. Außerdem wusste ich, wie ich Susans Fehler vermeiden konnte, und hielt meinen Kopf aufrecht und den Mund immer dicht am Mikrophon. Weil ich eine Frau und gleichzeitig eine Studienanfängerin war, hatte ich zu Anfang noch Sorge, dass einige der unbändigeren Studenten meinen Vortrag durch Zwischenrufe stören würden. Aber ich konnte meine gesamte Rede in eine respektvolle Stille hinein halten, die am Ende meines Vortrages in ein sanftes Murmeln überging. Dieser Abschluss erleichterte mich sehr, aber ich war überhaupt nicht sicher, ob ich nun gut oder schlecht bewertet wurde.
    In der resümierenden Schlussrede der Gegenpartei fasste Giles’ letzter Sprecher lediglich noch einmal zusammen, was bereits gesagt worden war. Da war Komalis Zusammenfassung unserer These zwar besser, aber sie verrannte sich leider darin, alles bis ins letzte Detail zu bewerten, sodass im Publikum recht schnell Langeweile aufkam und ich mich schon fragte, ob wir nicht vielleicht doch noch verlieren würden. Zu Beginn der Abstimmung wurde mir klar, dass es eine Menge Leute gab, die auch dann für Gilesgestimmt hätten, wenn sein Vorschlag gewesen wäre, den Rundbau der
Radcliffe Camera
lila zu streichen. Aber es gab eine ebenso große Zahl von Zuhörern, die grundsätzlich gegen ihn waren – es sei denn, er hätte seinen Rücktritt bekanntgegeben. Es waren die Wechselwähler, die schließlich für unseren Sieg sorgten und mir auf dem Weg in die Bar das herrliche Gefühl eines Erfolgserlebnisses bescherten. Dr.   McLean lud uns zu einer Flasche Sekt ein und bestand darauf, mir das erste Glas einzuschenken.
    «Das war wirklich eine eindrucksvolle Vorstellung, Nora. Ich glaube, so eine besonnene Rede habe ich von einem Ersttrimester noch nie gehört.»
    «Ich bin es gewöhnt, Vorträge zu halten», erwiderte ich errötend. «An meiner Schule war ich Präsidentin des Debattier-Clubs, und wir mussten unsere Referate ab der sechsten Klasse immer vor der großen Vollversammlung halten. Und das waren fast achthundert Leute. Prost.»
    Ich nahm einen Schluck Sekt, während er sich Komali zuwandte und mit einigen Worten des Lobes auch ihr Glas füllte. Genau wie ich und Susan badete auch sie in dem warmen Gefühl seiner Zustimmung. Das allerdings löste bei mir einen plötzlichen und völlig irrationalen Anflug von Eifersucht aus, den ich aber sofort unterdrückte. Dann fing Dr.   McLean an, unsere Auftritte zu rekapitulieren und uns sehr bestimmt, aber taktvoll zu erklären, was wir

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