Noras Erziehung
wie nett von dir, mich mit einem der Ästheten der zwanziger Jahre zu vergleichen. Selbst wenn es nur ein fiktiver Charakter ist. Danke. Und ja, ich würde sagen, ich bin ihm wirklich durchaus ähnlich. Ich bin ja sogar mit dir nach Thame gefahren, stimmt’s? Aber keine Sorge, ich habe nicht vor, dich vor Stephen zu warnen. Deralte Knabe ist wirklich in Ordnung. Auch wenn er etwas ungeschliffen und grob sein kann. Aber schließlich magst du es ja durchaus ein bisschen grob, hab ich recht?»
Er zwinkerte mir verschwörerisch zu, und ich ertappte mich dabei, wie ich rot wurde. Stephen hatte ihm wohl einiges erzählt.
Er lächelte und tätschelte meine Hand. «Du musst nicht verlegen sein, Nora. Schließlich hast du es ja nicht mit Dr. James McLean oder so jemandem getrieben.»
Die Röte auf meinen Wangen wurde noch intensiver. Aber er fuhr unbekümmert fort.
«Nein, es gibt wirklich keinen Grund zur Verlegenheit. Im Gegenteil. Ein hübsches, junges Mädchen wie du sollte eine Runde handfesten Sex mit Stolz genießen können. Meinst du nicht auch?»
«Ich denke schon. Schämen tue ich mich jedenfalls nicht.» «Genau die richtige Einstellung. Wollen wir jetzt bestellen? Der Fasan bietet sich ja förmlich von selbst an. Das wäre in dieser Saison der erste für mich.»
Ich war froh, das Thema wechseln zu können. Giles fing auch nicht wieder davon an, sondern sprach über Wild und Wein und fragte mich dann so charmant und höflich über einen Segeltörn im Mündungsgebiet der Exe aus, dass ich meine Vorsicht langsam vergaß. Wir tranken eine Flasche Rotwein zu dem Fasan, und als Dessert gab es etwas Schweres und Süßes mit kleinen Melassepuddingstücken darin. Als er schließlich bezahlt hatte und mich nach draußen führte, war ich nicht nur überaus satt, sondern mehr als nur beschwipst.
«Lass uns doch noch ein bisschen am Fluss spazieren gehen.»
«Um drei Uhr muss ich zum Rudern.»
«Ich fahr dich hin.»
«Ich weiß nicht, ob du noch fahren solltest.»
«Und du solltest nicht mehr Rad fahren. Außerdem habe ich da noch einen Vorschlag für dich.»
«Ah, das dachte ich mir schon. Geht’s um das Studentenparlament?»
«Doch nicht so etwas Profanes. Und auch nichts, was für jedermanns Ohren bestimmt ist.»
Er hatte meinen Arm genommen. Die Geste war so altmodisch, dass sie fast affektiert wirkte. Aber da sie nicht aufdringlich war, ließ ich es geschehen. Als wir das Ufer erreichten, ließ ich mich von ihm über einen ausgetretenen Pfad führen, der sich immer mehr verzweigte, bis wir schließlich zu den Feldern gelangten, die von einem Wäldchen mit Weidenbäumen und Weißdorn gesäumt waren. Er wandte sich erst wieder an mich, als wir völlig allein waren.
«Wie ich schon vor dem Essen sagte, du gehörst hierher. Du bist Teil des wahren Oxford. Oder besser gesagt, des idealen Oxford. Außerdem bist du das temperamentvollste, anständigste und auch so ziemlich hübscheste Mädchen auf der Universität.»
«Nein, bin ich nicht. Und das weißt du auch ganz gut.»
«Was redest du denn da? Mag sein, dass man dich bei irgendeinem geschmacklosen Schönheitswettbewerb an der Küste schlagen würde, aber du hast Feuer, wo andere nur eine schwache Glut haben.»
Ich wollte ihm sagen, dass er betrunken war und ich nicht so schnell auf Komplimente ansprang. Aber dafür war ich zu neugierig – und ebenfalls nicht mehr nüchtern genug.
«Okay, ich bin also Miss Perfekt. Aber worauf willst du denn nun hinaus?»
«Na schön, du willst es nicht anders. Also sage ich es dir. Die Hawkubites haben endlich einen Ort gefunden, an dem wir unser Michaelistag-Essen veranstalten können. Ein neues Restaurant in Goring-on-Thames, dessen Besitzer auf ganz zauberhafte Weise arglos sind. Und ich möchte dich als meinen persönlichen Gast einladen.»
«Ich dachte, die Hawkubites wären eine rein männliche Vereinigung.»
«Sind sie auch. Und das bereits seit fast dreihundert Jahren. Aber es ist durchaus schon vorgekommen, dass wir weibliche Gäste hatten. Du bist sicher meiner Meinung, dass es eine große Ehre ist – auch wenn natürlich einige Bedingungen daran geknüpft sind.»
Selbst betrunken, wie ich war, merkte ich langsam, dass die Sache offensichtlich einen Haken hatte. «Und was für Bedingungen sind das genau?»
«Ach nichts, womit du nicht klarkommst. Du musst dich nur an die Kleiderordnung halten. Amüsier dich einfach und sei keine Spielverderberin. Natürlich musst du alles, was dort passiert, für
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