Noras Erziehung
denn in IhreErschaffung ist keine Begabung eingeflossen. Natürlich nur, wenn man voraussetzt, dass es keinen Schöpfer gibt.»
«Das ist Ihr Fach. Halten Sie es für Kunst?»
«Schlägt man in einem Wörterbuch nach, kann man nachlesen, dass das Hauptdefinitionsmerkmal für Kunst Begabung ist. Das heißt also, es ist keine Kunst. Und wenn doch, dann ist es den Leuten zuzuschreiben, die die Laserlichter entworfen haben, und nicht David, der sie einfach nur hingestellt hat.»
«Aber die Wirkung spielt doch sicher auch eine Rolle.»
«Mit der Ausrüstung hätten Sie oder ich das auch hingekriegt. Vielleicht sogar besser. David argumentiert, es sei Kunst, weil er, der Künstler, sagte, dass es Kunst wäre. Und es ist ihm gelungen, eine Menge scheinbar vernünftige Menschen aufzutreiben, die sich unter der Annahme, es handelte sich um Kunst, von einer Menge Geld getrennt haben. Ein Zyniker würde vielleicht sagen, dass er so argumentieren musste, weil er Künstler sein wollte, es ihm aber an Begabung mangelte.»
«Und wie ist die Antwort darauf?»
«Dieser Punkt muss offenbleiben. Aber ich nehme an, wenn er überhaupt irgendwie in die Geschichte eingehen wird, dann nicht als Künstler, sondern als charmanter Gauner.»
«Vielleicht sogar als Hochstapler?»
«Sehr schlau! Das würde ich sehr gern in meiner Kritik unterbringen. Aber dann würde er mich wahrscheinlich verklagen.»
«Sie schreiben Kritiken?»
«In letzter Zeit schreibe ich alles, was die Leute noch von mir haben wollen. Wie Sie wissen, bin ich in Ungnade gefallen.»
Ich ertappte mich dabei, wie ich rot wurde. Mir war es überaus peinlich, dass ich ihn ohne jede Absicht dazu gebracht hatte, über seinen Rauswurf aus dem St. Mary’s College zu sprechen. Ich war sogar versucht, ihn nach den Gründen dafür zu fragen, um zu sehen, ob er weiter darüber sprechen oder lügen würde. Oder wie er sich erklären würde, wenn er die Wahrheit sagte. Aber da ich nicht wagte, die Sache weiter zu vertiefen, wechselte ich kurzerhand das Thema.
«Was immer Sie da zubereiten, es riecht köstlich. Kochen Sie?»
«Ja. Aber nur so, wie man das als Junggeselle können muss, um nicht auf Fertiggerichte oder Imbissessen zurückzugreifen. Es gibt Tagliatelle mit Steinpilzen. Wenn ich mich jetzt nicht ein wenig darum kümmere, werden es noch Tagliatelle mit seltsam angebrannten Stückchen.»
Er trat an den Herd, und ich setzte mich an den Tisch und nahm einen Schluck Saft, während wir uns weiter unterhielten. Seine Konversation hatte rein gar nichts Sexuelles an sich. Es gab keine zweideutigen Bemerkungen und keine Andeutungen, dass irgendwas zwischen uns möglich wäre. Nichts außer der beiläufigen Bemerkung, dass Violet und ich hübsch anzusehen wären. Ob er mich in einem falschen Gefühl der Sicherheit wiegen wollte, bevor er zuschlug? Wenn ja, hatte er es jedenfalls ganz sicher nicht eilig damit. Wir aßen, tranken und unterhielten uns. Die Palette reichte von allgemeinen Ereignissen wie der bevorstehenden Wahl bis hin zu spezielleren Themen wie dem französischen Theater im späten neunzehnten Jahrhundert. Er schien über alles etwas und über vieles eine Menge zu wissen. Er war wie eine jüngere Version von meinem Dad, mit dem Unterschied, dass er nur sehr wenig festgelegteAnsichten hatte und es vorzog, sich seine Offenheit zu bewahren.
Es war schon fast Mitternacht, als ich schließlich aufbrach. Und trotzdem er fast eine ganze Flasche schweren Rotwein und ein Glas Whiskey getrunken hatte, war immer noch keine zweideutige Bemerkung gefallen. Ich war versucht gewesen, mit ihm zu flirten, nur um zu sehen, ob ich ihm eine Reaktion entlocken könnte. Aber es waren nicht nur die Gedanken an Stephen und Violet, die mich davon abhielten, sondern auch die Angst, ich würde mir damit vielleicht mehr einhandeln, als mir lieb wäre. Er gab mir nicht mal einen Gutenachtkuss.
Als ich zurück in die Stadt radelte, spürte ich tatsächlich eine gewisse Enttäuschung in mir. Es fühlte sich fast wie ein Verlust an – als hätte etwas Wichtiges stattfinden sollen, zu dem es dann aber doch nicht gekommen war. Ich versuchte mir zu sagen, dass sein Verhalten durch und durch korrekt gewesen wäre. Und das war es auch – zumindest, wenn man mich als Studentin und ihn als Dozenten betrachtete. Aber er war eben kein Dozent mehr, sondern ein Ex-Dozent, den man rausgeworfen hatte, weil er ein weitaus jüngeres Mädchen zu schmutzigem Sex verführt hatte.
Ich hielt vor der
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