Noras großer Traum (German Edition)
beigetragen hätten, zu einer wundersamen Lösung zu kommen. Sie schlug die Hände vors Gesicht und rieb sich die Augen. Wie hatte es nur dazu kommen können? Fast hätte sie über diese an sich selbst gerichtete Frage lachen müssen. Sie war beinahe Mitte dreißig. Da konnte man doch annehmen, dass sie wissen sollte, wie man eine Schwangerschaft verhinderte. Sie schüttelte den Kopf über sich selbst. Immerhin war sie auf Grund massiver Zyklusstörungen, hervorgerufen durch die Infusionen und Medikamente, davon überzeugt gewesen, dass es ausgeschlossen sei, dass sie schwanger werden könnte.
Fassungslos legte sie den Kopf in den Nacken und sah an die Decke. Sie musste nun doch mit Max sprechen; er hatte ein Recht darauf. Und Tom? Eigentlich hatte er ebenfalls ein Recht, es zu erfahren. Und was war mit ihr? Verzweifelt wischte sie sich jetzt mit dem Handrücken die Tränen weg. Hatte sie nicht auch das Recht, endlich in Frieden zu leben? Mein Gott, immer war sie für ihre Familie da gewesen, jahraus, jahrein. Ein einziges Mal in einem Jahrzehnt hatte sie nicht so »funktioniert« wie vorgesehen, und alles geriet aus dem Gleichgewicht. Das war einfach nicht fair.
Nora stand auf und ging zum Fenster. Viele Vögel umflatterten das Futterhaus im Garten und pickten im Schnee. Sie lehnte die Stirn gegen die Scheibe. In Australien war jetzt Hochsommer. Erschrocken zuckte sie plötzlich zusammen. Eine Blaumeise war gegen die Scheibe geflogen und lag nun schnell atmend im Schnee. Der Schreck hatte sie fiugunfähig gemacht, und innerhalb kurzer Zeit würde sie erfrieren.
Nora öffnete die Terrassentür, bückte sich, nahm den kleinen Vogel vorsichtig in die Hand und wölbte die andere Hand schützend darüber. Dann setzte sie sich in einen Sessel am Fenster und wartete ab. In der Wärme der abgedunkelten Hand würde er sich wieder erholen. Sie hatte das schon öfter erlebt. Als er sich nach einigen Minuten bewegte, ging sie langsam in die Küche und drehte den Wasserhahn auf. Von ihrem Zeigefinger hielt sie nun einen Tropfen Wasser vor den kleinen Schnabel. Gierig trank der Vogel und schüttelte anschließend den Kopf. Nora machte sich wieder auf den Weg zur Terrassentür, öffnete sie und setzte die Blaumeise auf einen kugelförmigen Buchsbaum. Nachdem sie sich die Hände gewaschen hatte, stand sie erneut am Fenster und beobachtete, wie der kleine Vogel wieder munterer wurde.
Sehnsüchtig seufzte sie. Wenn doch nur alle Probleme so einfach zu lösen wären. Tränen stiegen in ihre Augen, als sie an das bevorstehende Gespräch mit Max dachte. Sie hatte nie vorgehabt, ihn zu verletzen, und nun das. Er musste sich nicht nur damit auseinander setzen, dass sie ihn betrogen hatte, sondern auch noch damit, dass sie ein Kind von einem anderen erwartete. Jetzt würde womöglich doch alles auseinander brechen. Verzweifelt dachte sie an Niklas und Marie. Langsam rutschte sie mit dem Rücken den Fensterrahmen hinunter und blieb am Boden sitzen. Froh darüber, dass sie allein im Haus war, wehrte sie sich nicht mehr gegen die Tränen. Kuno lief aufgeregt um sie herum und stupste sie mit der Schnauze. Sie schlang beide Arme um seinen Hals und legte eine Wange auf seinen Nacken.
»Schon gut, Kuno. Schon gut. Dein Frauchen ist nicht nur verrückt geworden, sondern steckt auch noch in der Klemme.« Sie streichelte ihn ein paar Minuten, bevor sie wieder aufstand und tief durchatmete. Nun, es half alles nichts, da musste sie durch. Erschrocken fuhr sie zusammen, als es klingelte. Ein Blick auf die Uhr verriet ihr, dass sie Maries Schulschluss völlig vergessen hatte. Hektisch wischte sie sich das Gesicht mit dem Pulloverärmel ab und ging zur Tür. Es musste heute eben eine Pizza aus der Kühltruhe reichen.
Den ganzen Tag über war sie zerstreut und unruhig gewesen. Dennoch wollte sie das Gespräch mit Max nicht länger vor sich herschieben. Sie hatte ihn am Telefon darum gebeten, eher als sonst nach Hause zu kommen. Als die Kinder schliefen, setzte sich Max erwartungsvoll aufs Sofa und sah sie prüfend an.
»Du bist so ernst und blass heute. Ist irgendetwas nicht in Ordnung, mein Schatz?«
Nora kämpfte mit aller Macht gegen das Würgen, das schon wieder in ihrem Hals aufstieg. Er war so lieb und ahnungslos. Sie hatte nicht den leisesten Schimmer, wie sie ihm das beibringen sollte. Sie schluckte und sah auf ihre Hände. Max runzelte die Stirn, setzte sich neben sie und legte einen Arm um ihre Schultern.
»Was ist denn, Nora?«
Sie
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