Noras großer Traum (German Edition)
besorgt, um schlafen zu können, aber sie wollte ein wenig die frische Kühle ihres Zimmers genießen und versuchen Ordnung in das Durcheinander ihrer Gedanken zu bringen. Sie empfand diesen Tag – seit seinem Beginn im Morgengrauen mit der Bootstour – als eine einzige Aneinanderreihung von unwirklichen Erlebnissen. Es kam ihr geradezu abenteuerlich vor, was an einem einzigen Tag alles geschehen konnte. Ohne dass sie es beabsichtigte, wurde sie plötzlich wieder an den Tod von Sophie erinnert. Sekundenbruchteile hatten an jenem Tag darüber entschieden, dass ihr Leben zu Ende ging und sich das Leben aller, die sie liebten, für immer veränderte. Traurig stellte Nora fest, wie sehr sie ihre Freundin auch jetzt noch vermisste. Schließlich verdrängte sie diese Gedanken und griff nach dem Telefon, um zu Hause anzurufen. Irgendwie brauchte sie die Gewissheit, dass es ihrem Mann und den Kindern gut ging.
Als sie später sauber und umgezogen mit einem Hemd von Martin in der Hand auf dem Weg zum Behandlungszimmer war, fühlte sie sich deutlich besser. Schließlich lebte er und würde ihrer Einschätzung nach auch keine bleibenden Schäden davontragen. Leise klopfte sie an die Tür, die sie nach Aufforderung öffnete. Martin grinste ihr entgegen. Er sah nicht mehr so blass und erschöpft aus und lag frisch verbunden auf der gesunden Körperseite auf der Liege. Die Schwester befreite ihn gerade von der eben durchgelaufenen Infusion, als aus dem Nebenzimmer der Arzt hereinkam. Er steckte eine kleine silberne Brille in seine Brusttasche, nickte Nora zu und blieb vor der Liege stehen.
»Na, Mr. Sanders, wie fühlen Sie sich jetzt?« Zu Nora gewandt bemerkte er: »Die Verletzung an der Schulter war eine Herausforderung. Echte Millimeterarbeit. Aber ich glaube, wir haben das richtig gut hinbekommen.«
Martin hatte sich langsam aufgesetzt, und Nora half ihm in sein Hemd. Der Arzt war inzwischen vor einem Schrank mit Medikamenten stehen geblieben und nahm nach kurzer Suche zwei Schachteln heraus, die er Martin reichte.
»So, Mr. Sanders, die Kapseln sind ein Antibiotikum. Nehmen Sie sie bitte dreimal täglich ein, bis die Schachtel aufgebraucht ist. Die kleineren Tabletten hier nehmen Sie nur bei Bedarf gegen Schmerzen.«
Martin nickte. »Alles klar. Haben Sie vielen Dank.«
Der Arzt lächelte und schüttelte ihm die Hand. »Keine Ursache. Ach, fast hätte ich es vergessen. In etwa zehn Tagen müssen die Fäden gezogen werden. Denken Sie daran, dann zu einem Arzt zu gehen.«
»Nun, das dürfte nicht schwer sein«, erwiderte Martin grinsend.
»Wir werden dann mitten in unserer Reportage über den Royal Flying Doctor Service in Cameron Downs stecken. Es sollte mich wundern, wenn sich dort nicht ein Arzt findet.«
Die nächsten Tage mussten auf Grund von Martins Verletzung etwas ruhiger gestaltet werden. Trotzdem konnten sie sich noch einiges im Park ansehen, und Nora fragte sich, wann dieses Land aufhören würde, die vorangegangenen Eindrücke immer noch ein weiteres Mal zu übertreffen. Am letzten Tag fuhren sie zum Flugplatz, um sich den National Park zum Abschied noch einmal aus der Luft anzusehen. Martin hatte sich dieses Ereignis nicht nehmen lassen wollen und versicherte Nora, dass er, wenn er sich vorsichtig bewege, schon gar keine Schmerzen mehr habe. Mit fünf weiteren Passagieren an Bord überflog die Cessna diese einzigartige Landschaft, die vom uralten Sandsteinplateau und bizarren Felsformationen über Mangrovensümpfe und Flussarme, endlose Eukalyptuswälder bis hin zu den bekannten Wasserfällen alles zu bieten schien, was man sich vorstellen konnte. Nora erkannte, dass sich allein für diesen Besuch im Norden Australiens ihre Reise schon gelohnt hatte. Zufrieden lächelnd stieg Martin nach ihr aus dem Flugzeug und schlenderte in seinen neuen australischen Stiefeln auf sie zu. Erleichtert darüber, dass es ihm so offensichtlich besser ging, konnte Nora ein Schmunzeln nicht unterdrücken.
»Na, Crocodile Dundee?«
Er lachte. »Mach dich nur lustig!«
Sie sah ihn an. »Nein, im Ernst, weißt du, dass der Film hier im Park gedreht wurde?«
Er schüttelte den Kopf. »Das wusste ich tatsächlich nicht.« Martin streckte sich nun vorsichtig und hängte sich seine Fotoausrüstung über die gesunde Schulter. »Jedenfalls werde ich Superfotos für unsere Dokumentation beisteuern können.« Er grinste nun wieder breit. »Du wirst dich also mit dem Text ordentlich anstrengen müssen.«
Zurück in Darwin, konnte
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