Noras großer Traum (German Edition)
versprochen, heute vorbeizukommen.«
Kim war ernst geworden. »Ich zeige Ihnen, wo sie ist. Vielleicht finden wir unterwegs auch Bill. Kommen Sie bitte mit.«
Nora war erleichtert, das Mädchen in einem Spielzimmer zu treffen und nicht im Beisein der Eltern. Sie hätte nicht gewusst, wie sie mit dem Leid des Ehepaars hätte umgehen sollen. Die Kleine saß an einem Tisch und malte in einem Malbuch. Als Nora sich zu ihr setzte, sah sie auf.
»Hallo.«
Nora strich ihr über den Kopf. »Hallo, Joanna. Wie hast du denn im Krankenhaus geschlafen?«
Das Mädchen beugte sich wieder über das Malbuch.
»Hm. Ganz gut. Aber ohne Dennis macht es hier einfach keinen Spaß.«
Nora schluckte. Es war nicht leicht, darauf etwas zu sagen.
»Das glaube ich, Joanna. Es ist bestimmt schwer für dich und deine Eltern.« Sie machte eine kleine Pause, bevor sie hinzufügte: »Und es tut sehr weh, jemanden zu verlieren, den man lieb gehabt hat.«
»Hast du auch schon jemanden verloren, den du lieb hattest?«
Nora nickte. »Ja, meine beste Freundin. Sie hatte einen Autounfall und ist sofort gestorben.« Sie strich dem Mädchen wieder über den Kopf. »Es ist gut, eine Weile richtig traurig zu sein, Joanna, denn wenn man um jemanden weint, bedeutet das, dass man ihn lieb hatte und dass er einem wichtig war. In dieser Zeit der Traurigkeit nimmt man Abschied von demjenigen, den man verloren hat. Danach muss man ihn aber loslassen, verstehst du? Man darf sich immer an all die Dinge erinnern, die schön waren, die Spaß mit ihm gemacht haben, aber man muss auch wieder anfangen, fröhlicher zu werden. Denn dein Bruder zum Beispiel würde es doch nicht mögen, wenn du nur noch traurig herumlaufen würdest, oder?«
Joanna hatte ihr aufmerksam zugehört. Nun schüttelte sie langsam den Kopf und lächelte.
»Nein. Dennis wollte immer, dass ich ihn kitzle. Er hat sich dann immer kaputtgelacht.«
Nora zog an Joannas Zopf. »Siehst du, genau daran sollst du dich erinnern.« Um sie abzulenken, griff sie nach dem Malbuch.
»Zeig mal. Das sieht ja toll aus! Du malst ja gar nicht mehr über die Linien. Magst du Pferde gerne?«
Gemeinsam malten sie noch einige Seiten in dem Buch aus und unterhielten sich. Als Nora sich schließlich verabschiedete, hatte sie das Gefühl, dass es richtig gewesen war, sich vor diesem Besuch nicht zu drücken.
Sie trat auf den Gang, wo Bill offenbar auf sie gewartet hatte.
»Kim sagte mir, dass Sie mich gesucht haben. Als ich Sie hier fand, wollte ich nicht stören. Ich konnte aber nicht verhindern, Ihrer Unterhaltung zuzuhören. Sie können fantastisch mit Kindern umgehen, Nora, wissen Sie das?«
Wie immer bei Komplimenten wurde Nora verlegen. Sie erwiderte sein Lächeln und strich sich eine kleine Locke aus der Stirn.
»Danke, Bill. Ich glaube aber, das kann jeder, der eigene Kinder hat.«
Er schüttelte den Kopf. »O nein. Es wäre schön, wenn es so wäre. Aber leider haben Sie in diesem Punkt nicht Recht. Die meisten Menschen sind hilflos, wenn sie Kinder in einer solchen Situation erleben. Sie denken, es sei besser, nicht mehr darüber zu sprechen, es zu verdrängen, aber das stimmt nicht. Die Kinder leiden darunter, wenn so ein traumatisches Erlebnis in der Familie unter den Teppich gekehrt wird. Und sie können meistens nicht verstehen, wieso versucht wird, so zu tun, als wäre das Unglück nicht geschehen. Häufig gehen ihre Gedanken dann in eine falsche Richtung, und nicht selten suchen sie die Schuld bei sich selbst.« Nora hatte ihm interessiert zugehört. Jetzt legte er eine Hand auf ihren Arm und fragte: »Aber Sie wollten mich sprechen? Worum geht es denn?«
Sie musste kurz überlegen, denn in Gedanken war sie noch bei seinen Erklärungen gewesen. Sie tippte sich an die Stirn.
»Ach ja! Jetzt hätte ich es fast vergessen. Ich wollte Ihnen nur Bescheid geben, dass Martin und ich für einige Tage unseren geplanten Ausflug zum Ayers Rock machen. Sie sollten sich nicht wundern, wenn wir plötzlich verschwunden sind.«
»Ah, ich beneide Sie. Dort würde ich jetzt auch lieber hinfahren, als hier zu arbeiten. Wie lange werden Sie weg sein?«
»Etwa drei bis vier Tage. Martin ist Sportflieger, er wird uns nach Alice Springs fliegen.« Sie sah bittend an die Decke. »Ich hoffe, er weiß, was er tut.«
Bill lachte. »Na, das hoffe ich doch auch. Ich wünsche Ihnen viel Spaß dort.«
Noch am selben Vormittag erhielt Martin Sanders die Starterlaubnis, und die gemietete Cessna rollte auf die Startbahn
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