Noras großer Traum (German Edition)
des Flugplatzes von Cameron Downs. Nora fühlte sich wirklich nicht sehr wohl. In so einer kleinen Maschine zu fliegen, war etwas völlig anderes, als sie es bisher gewohnt war. Außerdem hatte Martin sie derart mit seinen Flugkünsten aufgezogen, dass sie tatsächlich verunsichert neben ihm Platz genommen hatte. Nach einer Weile registrierte sie aber, wie sicher und routiniert er mit der Cessna umging, und sie entspannte sich. Schließlich mochte sie den Blick von der Landschaft unter sich gar nicht mehr abwenden.
Nachdem sie den Ort hinter sich gelassen hatten, konnte Nora neben Büschen und Bäumen deutlich die Biegungen der Flüsse, die sie überflogen, betrachten, genauso wie Felsen und Gesteinsformationen, ab und zu ein großes Farmhaus, auf dessen Dach meist der Name der Farm deutlich abzulesen war, zumindest solange Martin nicht höher flog. Aber anscheinend genoss er selbst den Ausblick. Einige Zeit später überflogen sie den großen Lake Eyre, der im Lake Eyre National Park lag. Australiens größter See befand sich zwar im trockensten Teil des Kontinents, wäre einem Verdurstenden jedoch keine Hilfe gewesen, denn wenn er sich vielleicht zweimal im Jahr mit Wasser füllte, war sein Salzgehalt höher als der des Ozeans. Nora konnte auch nur einige Pfützen inmitten riesiger Salzpfannen ausmachen, bevor sie sich der Simpson Wüste näherten und nach einer Weile der berühmten Eisenbahnlinie Ghan folgten, deren Gleise von Adelaide im Süden bis nach Alice Springs und zu den MacDonnell Ranges in die Mitte des Kontinents führten.
Nach der Landung in Alice Springs nahmen sie bei einer der örtlichen Autovermietungen einen geländegängigen Mietwagen, mit dem es nun endgültig zum Uluru-Kata Tjuta National Park gehen sollte, der wohl die bekanntesten Wahrzeichen Inneraustraliens beherbergte, den Ayers Rock und die etwa dreißig Kilometer entfernt liegenden Olgas. Es störte sie nicht, dass sie Alice Springs kaum einen Blick gönnten und gleich weiterfuhren. Sie würden vor dem Rückflug noch einen Tag hier verbringen und sich umsehen können. Nora freute sich besonders darauf, dieses für die Ureinwohner so wichtige Land kennen zu lernen. Sie hoffte dort in Ruhe etwas von der Kultur der Aborigines wahrnehmen zu können. Insgeheim jedoch befürchtete sie, womöglich am Ziel feststellen zu müssen, dass man daraus doch so etwas wie ein heimliches Disney World gemacht hatte. Nachdenklich schaute sie aus dem Fenster.
»Na. was geht in deinem Kopf vor?«, fragte Martin.
Sie seufzte und streckte die Beine aus.
»Ach Martin, ich glaube kaum, dass du das nachvollziehen kannst. Du bist schon so viel in der Welt herumgekommen, dass ich mir nicht vorstellen kann, dass dich noch etwas wirklich vom Hocker reißt.«
»Nein, das stimmt so nicht.« Er überlegte kurz. »Es hat auf meinen Reisen immer Orte gegeben, die ich total faszinierend gefunden habe, doch auch andere, die mich abgestoßen haben. Ich sehe die Welt durch die Kamera aber meist mit anderen Augen als du zum Beispiel.«
Sie schaute ihn verständnislos an. »Wie meinst du denn das? Bin ich deiner welterfahrenen Sichtweise nicht gewachsen?«
Er lachte leise in sich hinein. Ohne dass er es beabsichtigte, gelang es ihm immer, sie zu provozieren. Mit ihr wurde es wenigstens nie langweilig.
»Quatsch! Ich wollte damit sagen, dass mich häufig ausschließlich die Wirkungsweise des Fotografierten auf andere interessiert. Es gibt so wahnsinnig viele Möglichkeiten, etwas auf Bildern festzuhalten, und jedes Mal hat dieses Festgehaltene eine andere, eine neue Wirkung auf den Betrachter. Auch wenn es vielleicht aufgesetzt klingt, ich empfinde bei meiner Arbeit durchaus eine tiefe Verantwortung, denn ich wecke mit meinen Bildern Sympathien oder womöglich auch Aversionen gegen bestimmte Orte bei den Leuten, die sie betrachten. Verstehst du?«
Er blickte sie an, und sie nickte langsam.
»So habe ich es noch nie gesehen. Aber du hast Recht.«
Er schaute wieder auf die Fahrbahn vor sich und fuhr fort: »Weißt du, ich wollte aber etwas ganz anderes damit sagen, nämlich, dass ich bisher anders an Aufgaben herangegangen bin als du. Es gefällt mir jedoch, dich hier zu beobachten. Du bist so offen für alles Neue, du möchtest gern hinter die Dinge sehen. Du willst nicht nur eine tolle Story, du stellst immer die menschlichen Aspekte in den Vordergrund. Mir ist aufgefallen, wie sehr du dich darum bemühst, sie zu ergründen und zu verstehen und sie vor dem
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