Noras großer Traum (German Edition)
meinen Mund halten?«
Er schüttelte den Kopf. »Nein, das war nur ein Scherz. Mach weiter, es hört sich interessant an.«
»Jedenfalls hat der so genannte Ayers Rock bei den Aborigines schon immer Uluru geheißen. Manche sagen, das bedeutet ›schattiger Platz‹, und tatsächlich stellt dieser Berg in der weiten Ebene ja auch den einzigen Platz dar, der auf natürliche Weise Schatten spendet. Andere behaupten, der Name beschreibe den ›Fels der vielen Farben‹, und wieder andere meinen, Uluru sei einfach der Name der Wasserstelle am Berg. Wenn du mich fragst, ich finde alle drei Erklärungen interessant. Die ›Olgas‹ waren seit je Kata Tjuta, was › viele Köpfe‹ bedeutet, und irgendwie sehen sie ja auch so aus wie riesige Köpfe.« Nora schaute aus dem Fenster. »Ich kann gar nicht fassen, das Ganze jetzt bald in Wirklichkeit zu erleben, aber das verstehst du wahrscheinlich nicht, oder?«
»Doch, auch wenn du mir das nicht abnimmst. Ich meinte das vorhin ernst, dass du mich mitreißt mit deiner Faszination. Und sonst? Gibt es noch etwas Wichtiges, das ich wissen sollte?«
Nora zögerte einen Moment, dann sagte sie bestimmt: »Ja, es gibt noch etwas sehr Wichtiges.«
Martin sah sie gespannt an. »Ja?«
»Wir werden den Uluru auf gar keinen Fall besteigen. Und komm mir nicht mit den Fotoperspektiven. Für kaum etwas schäme ich mich mehr als für all die Touristen, denen die Empfindungen der Aborigines für ihren heiligen Berg egal sind, und die meinen, da unbedingt raufklettern zu müssen. Die Anangu selbst würden wohl kaum einen Fuß darauf setzen.« Nora lächelte grimmig und fügte hinzu: »Ich stelle mir gerade vor, wie dieselben Leute im Kölner Dom oder in den Pariser Kirchen Notre-Dame und Sacré Cœur schauen würden, wenn dort ein Tourist auf den Altar klettern würde, um die Mosaikfenster besser fotografieren zu können.«
Martin musste nun lachen. »Okay, sehen wir uns den Uluru also von unten an. Ich finde deine Erklärung absolut einleuchtend.«
Sie nickte. »Es soll da ein sehr schöner Pfad sein, der um den Berg herumführt. Von da aus gibt es bestimmt auch gute Perspektiven für uns. Außerdem wollen wir ja den Berg betrachten und nicht die Ebene drum herum, durch die sind wir schließlich hergefahren.«
Eine Weile schwiegen sie und hingen beide ihren Gedanken nach. Martin dachte über Noras Bemerkung nach. Sicherlich war er nicht das, was man im allgemeinen als Kulturbanausen bezeichnete, und doch musste er sich eingestehen, dass für ihn immer das Foto zählte, das fertige Produkt, nicht der Weg dahin. Bei Nora schien es eher umgekehrt zu sein. Für sie war es wichtig, zu erkennen, warum etwas so war und nicht anders. Wie man etwas begründete. Unvermittelt unterbrach er die Stille.
»Sag mal, warum warst du eben eigentlich so persönlich betroffen?«
Sie warf ihm schnell einen prüfenden Blick zu. »Ach Martin, ich hoffe, du weißt, dass mein Unmut nicht auf dich gerichtet war. Du hast wahrscheinlich keine Ahnung, wie Recht du vorhin hattest, als du meintest, du könntest meine zwiespältigen Gefühle hier so gut erkennen, wenn du mich bei der Arbeit beobachtest. Noch nie hat mich ein Land so fasziniert wie dieses hier, aber je mehr ich gelesen und erfahren habe, umso weniger scheine ich zu verstehen. Ich habe mich zuerst mit den Aborigines befasst, dann mit der Geschichte um die Besiedlung Australiens und dann mit der Wechselwirkung, die beides aufeinander hatte und offensichtlich heute noch hat.« Sie legte den Kopf in den Nacken und seufzte. »Weißt du, als ich schon einiges über Australien gelesen hatte und dann die Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele 2000 in Sydney verfolgte – Kathy Freeman, eine junge Aborigine, entzündete das olympische Feuer –, da war ich einfach hingerissen und tief beeindruckt. Mittlerweile habe ich aber noch mehr gelesen, gesehen und erfahren, und ich frage mich, ob es nicht noch ein weiter Weg bis zur endgültigen Versöhnung zwischen Schwarz und Weiß in diesem Land ist. Womöglich sollte die Olympiade auch nur als Riesen-Medien-Event aller Welt die multikulturelle und weltoffene Gesellschaft Australiens vorführen ...
Warum nur fällt es diesen wunderbaren, aufgeschlossenen und gastfreundlichen Australiern so schwer, diesen dunklen Punkt in der Vergangenheit ihres Landes zu akzeptieren, einzusehen, was alles falsch gelaufen ist, und mehr für eine Annäherung zwischen den Kulturen zu tun?«
Nora sah Martin fragend an, der jedoch
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