Nordermoor
nagelneue Autos vor der Doppelgarage bemerkt. Natürlich auf Hochglanz poliert.
Sie holte tief Luft und fing an, die ganze Geschichte bis ins kleinste Detail wiederzugeben. Es war am Samstag gewesen, jetzt war Dienstag, du lieber Himmel, wie schnell die Zeit verging, und es war ein so wunderschöner Tag. Sie wurden von dem Pfarrer getraut, der so beliebt war.
»So was von unmöglich«, sagte der Mann. »Der kam in letzter Sekunde angestürzt, leierte dann irgendwas herunter, und dann war er auch schon wieder weg mit seiner Dokumentenmappe. Begreife nicht, warum er so beliebt ist.«
Die Ehefrau ließ nichts auf die wunderschöne Hochzeit kommen.
»Ein herrlicher Tag! Die Sonne schien, total schönes Herbstwetter, total schön. In der Kirche waren bestimmt hundert Leute. Sie hat so viele Freunde. Ist so beliebt, das Mädchen. Die Feier haben wir hier in Garðabær gehalten. Wie heißt das Lokal noch? Ich vergesse es immer.«
»Garð aholt«, sagte der Ehemann.
»So ein total gemütliches Lokal«, sagte sie. »Voll bis zum Gehtnichtmehr. Das Haus, meine ich. So viele Geschenke. Dann als … dann als …«
»Sie sollten gerade den Brauttanz anführen«, fuhr der Mann fort, während die Frau in Tränen ausbrach, »und der junge Spund von einem Bräutigam stand auf der Tanzfläche, und wir riefen nach Dísa Rós, aber sie ließ sich nicht blicken. Wir haben dann nach ihr gesucht, aber sie war wie vom Erdboden verschluckt.«
»Dísa Rós?«, fragte Erlendur.
»Es stellte sich heraus, dass sie den Hochzeitsschlitten genommen hatte …«
»Den Hochzeitsschlitten?«
»Ja, die Limousine mit den Blumen und Schleifen, in der sie aus der Kirche gekommen waren, die Hochzeitskarosse oder wie man das nennt, und dann war sie sang- und klanglos verschwunden«, sagte der Mann. »Ohne Vorwarnung! Ohne Erklärung!«
»Von der eigenen Hochzeit!«, jammerte die Frau.
»Und ihr wisst nicht, was dahinter steckt?«
»Sie hat es sich ganz bestimmt anders überlegt«, sagte die Frau. »Sie hat das Ganze bereut.«
»Aber warum?«, fragte Erlendur.
»Könnt ihr sie für uns aufspüren?«, fragte der Mann. »Sie hat nichts von sich hören lassen, und wie du siehst, machen wir uns große Sorgen. Das Fest war eine einzige Katastrophe. Die ganze Hochzeit im Eimer. Wir sind völlig ratlos. Und unser kleines Mädchen ist verschwunden.«
»Ähem … den Hochzeitsschlitten. Hat man den gefunden?«
»In der Garðastræti in Reykjavík«, sagte der Mann.
»Warum dort?«
»Ich weiß es nicht. Sie kennt niemanden dort. Ihre Kleider waren in dem Auto. Ihre richtigen Kleider.«
Erlendur zögerte.
»Ihre richtigen Kleider waren in dem Auto?«, fragte er schließlich und überlegte kurz, auf welchem Niveau dieses Gespräch gelandet war und ob dies vielleicht seine Schuld war.
»Sie hat das Brautkleid ausgezogen und ihre Kleider angezogen, die sie wohl im Auto gehabt hat«, sagte die Frau.
»Glaubst du, dass ihr sie finden werdet?«, fragte der Ehemann. »Wir haben uns mit all ihren Bekannten in Verbindung gesetzt, aber niemand weiß etwas. Wir wissen ganz einfach nicht, was wir noch unternehmen sollen. Ich habe hier ein Bild von ihr.«
Er reichte Erlendur das Abiturbild von einem hübschen jungen Mädchen, das nun also untergetaucht war. Sie lächelte ihn auf dem Foto an.
»Ihr habt keine Ahnung, was geschehen ist?«
»Keine Ahnung«, sagte die Mutter.
»Nicht die geringste«, sagte der Vater.
»Und das sind die Geschenke?« Erlendur schaute auf einen überdimensionalen Esszimmertisch, der mit bunten Päckchen beladen war, hübschen, dekorativen Objekten, Cellophan und Blumen. Er ging zum Tisch hin, und die Eheleute folgten ihm. Er hatte noch nie in seinem Leben eine derartige Anhäufung von Geschenken gesehen und überlegte, was da wohl drin sein würde. Porzellan und noch mehr Porzellan, nahm er an.
Was für ein Leben.
»Und was ist das hier für Grünzeug?«, fragte er und deutete auf ein Arrangement aus Zweigen, das in einer großen Vase am Ende des Tisches stand. An den Zweigen hingen herzförmige rote Zettelchen an einem Band.
»Das nennt sich Message-Tree.«
»Wie bitte?«, fragte Erlendur. Er war nur auf einer einzigen Hochzeit gewesen, und das war lange her. Keine Rede von einem Message-Tree.
»Die Gäste bekommen einen Zettel und können den Brautleuten einen Gruß schreiben, der dann an den Baum gehängt wird. Es hingen schon jede Menge Zettel dran, als Dísa Rós verschwand«, sagte die Frau und führte wieder das
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