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Nordermoor

Nordermoor

Titel: Nordermoor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indriðason
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Vergewaltigung angezeigt, aber nie verurteilt. Das war 1963. Ihr solltet mal eure Archive durchforsten.«
    »Wer hat ihn angezeigt?«
    »Eine Frau namens Kolbrún. Sie wohnte in …«
    »Keflavík?«
    »Ja. Weißt du etwas über sie?«
    »Wir haben ein Foto in Holbergs Schreibtisch gefunden. Es hat den Anschein, als sei es dort versteckt worden. Das Bild zeigte den Grabstein eines Mädchens, das Auður hieß, auf einem Friedhof, von dem wir noch nicht wissen, wo er sich befindet. Ich habe beim Statistischen Amt ein bisschen Wirbel gemacht und fand den Namen Kolbrún auf dem Totenschein. Sie war die Mutter des Mädchens auf dem Grabstein. Die Mutter von Auður. Sie ist tot.«
    Marian schwieg.
    »Marian?«, sagte Erlendur.
    »Und was sagt dir das?«, fragte schließlich die Stimme am Telefon.
    Erlendur dachte nach.
    »Ich könnte mir vorstellen, dass Holberg, falls er die Mutter des Mädchens vergewaltigt hat, der Vater des Kindes ist, und dass er das Bild deswegen in seinem Schreibtisch aufbewahrte. Das Mädchen war noch nicht ganz vier, als es starb, geboren 1964.«
    »Holberg wurde nie verurteilt«, sagte Marian Briem. »Das Verfahren wurde wegen Mangels an Beweisen eingestellt.«
    »Hat sie das Ganze nur vorgetäuscht?«
    »Den Eindruck hatte ich damals nicht, aber es konnte nichts bewiesen werden. Du kannst dir vorstellen, dass es nicht einfach für Frauen ist, so etwas zu melden. Du kannst dir vorstellen, was sie durchgemacht hat, diese Frau, vor fast vierzig Jahren. Es ist auch heutzutage noch schwierig genug für Frauen, damit an die Öffentlichkeit zu treten, aber damals war es noch um ein Vielfaches schwieriger. Sie hätte das wohl kaum nur zum Spaß gemacht. Das Foto ist vielleicht eine Art Bestätigung für die Vaterschaft. Weshalb hätte Holberg es sonst in seinem Schreibtisch aufbewahrt? Die Zeit scheint auch zu stimmen. Du sagst, dass Auður im Jahr darauf geboren wurde. Vier Jahre später stirbt sie. Kolbrú n beerdigt ihr Kind. Holberg hat auf irgendeine Weise mit der Sache zu tun. Vielleicht hat er selber das Bild gemacht, ich weiß aber nicht, wozu. Vielleicht spielt es keine Rolle.«
    »Er war bestimmt nicht bei der Beerdigung, aber er kann später beim Grab gewesen sein, um das Foto zu machen. Meinst du etwas in der Art?«
    »Es gibt noch eine andere Möglichkeit.«
    »Und die wäre?«
    »Vielleicht hat sie das Foto gemacht und ihm geschickt.«
    Erlendur dachte einen Augenblick nach.
    »Aber wozu? Wenn er sie vergewaltigt hat, warum schickt sie ihm dann ein Foto?«
    »Das ist die Frage.«
    »War dem Totenschein zu entnehmen, was die Todesursache bei Auður war?«, fragte Marian Briem. »Woran starb das Mädchen? War es ein Unfall?«
    »Da stand, dass sie einen Hirntumor hatte. Glaubst du, dass das wichtig ist?«
    »Wurde sie obduziert?«
    »Bestimmt. Der Name des Arztes steht auf dem Totenschein.«
    »Und die Mutter?«
    »Starb eines plötzlichen Todes.«
    »Selbstmord?«
    »Ja.«
    »Du hast dich schon lange nicht mehr bei mir blicken lassen«, sagte Marian Briem nach einer kurzen Pause.
    »Ich ersticke in Arbeit«, sagte Erlendur. »Verfluchte Scheißarbeit.«

Kapitel 8
    D er Regen, der auf die Straße nach Keflavík niederging, sammelte sich in tiefen Spurrillen, denen die Autofahrer tunlichst auswichen. Es waren derartige Wassermassen, dass man kaum durch die Scheiben blicken konnte. Sie waren von einem dichten Schleier überzogen und vibrierten unter den stürmischen Böen aus Südost. Die Scheibenwischer konnten nicht gegen diese Fluten ankommen, und Erlendur umklammerte das Steuer so fest, dass die Knöchel weiß wurden. Undeutlich sah er die roten Rücklichter des Autos vor ihm und versuchte, ihnen so gut wie möglich auf den Fersen zu bleiben.
    Er war allein unterwegs. Er hielt es für das Beste, nachdem er am Vormittag mit Kolbrún’s Schwester telefoniert hatte. Sie stand auf dem Totenschein als nächste Angehörige. Die Schwester war alles andere als kooperativ. Sie hatte es abgelehnt, ihn zu treffen. Weigerte sich rundheraus. Die Zeitungen hatten das Bild des Toten mitsamt seinem Namen veröffentlicht. Erlendur fragte, ob sie das gesehen hätte und wollte hinzufügen, ob sie sich an den Mann erinnerte, aber sie legte mitten im Satz auf. Er beschloss, es darauf ankommen zu lassen, wie sie reagieren würde, wenn er vor ihrer Tür stand. Er wollte sie ungern polizeilich vorführen lassen.
    Erlendur hatte in der Nacht schlecht geschlafen. Er machte sich Sorgen wegen Eva Lind und

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