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Nordermoor

Nordermoor

Titel: Nordermoor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indriðason
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befürchtete, dass sie irgendetwas völlig Verrücktes machen würde. Sie besaß ein Handy, aber jedes Mal wenn er anrief, kam diese Maschinenstimme und erklärte, dass das Telefon entweder außerhalb des Netzbereichs oder abgestellt sei oder dass alle Kanäle besetzt seien.
    Erlendur erinnerte sich nur selten an das, was er geträumt hatte, aber als er aufwachte, fühlte er sich irgendwie miserabel, und Fetzen eines unangenehmen Traums gingen ihm durch den Sinn, bevor sie sich verflüchtigten.
    Sie hatten nur ganz wenige Informationen über Kolbrún. Sie war Jahrgang 1934 und hatte Holberg am 23. November 1963 wegen Vergewaltigung angezeigt. Bevor Erlendur nach Keflavík losfuhr, hatte Sigurður Óli ihm den Inhalt der Vergewaltigungsklage skizziert, die eine Schilderung des Vorfalls enthielt und aus der Polizeiakte stammte, die Sigurður Óli auf den Hinweis von Marian Briem hin im Archiv gefunden hatte.
    Kolbrún war dreißig gewesen, als Auður geboren wurde. Die Vergewaltigung hatte neun Monate zuvor stattgefunden. Der Sachverhalt war nach Kolbrún’s Aussagen der, dass sie Holberg im Vergnügungslokal Kross getroffen hatte, das zwischen Keflavík und Njarðvík lag. Es war an einem Samstagabend gewesen. Sie hatte ihn vorher nicht gekannt und ihn nie zuvor gesehen. Sie war zusammen mit zwei Freundinnen da, und Holberg und seine beiden Kumpane waren mit ihnen während der Tanzveranstaltung zusammen gewesen. Als das Lokal zumachte, hatten sie noch eine Weile bei der einen Freundin von Kolbrún weitergefeiert. Zu fortgeschrittener Stunde wollte Kolbrún aufbrechen, und Holberg erklärte, dass er sie zur Sicherheit begleiten würde. Sie hatte nichts dagegen eingewendet. Alkoholeinfluss spielte bei beiden keine Rolle. Kolbrún erklärte, während der Tanzveranstaltung zwei Sprudel mit einem kleinen Schuss Wodka getrunken zu haben, und danach nichts mehr. Holberg hatte an diesem Abend überhaupt nichts getrunken. Er sagte, und Kolbrún hatte das gehört, dass er wegen einer Ohrinfektion mit Penizillin behandelt wurde. Eine ärztliche Bescheinigung war den Anklageunterlagen beigefügt und bestätigte diese Aussagen.
    Holberg fragte, ob er ein Taxi rufen dürfe. Sagte, dass er nach Reykjavík wollte. Sie zögerte einen Augenblick, zeigte ihm dann aber, wo das Telefon stand. Er ging ins Wohnzimmer, während sie sich im Flur den Mantel auszog, um dann in die Küche zu gehen und ein Glas Wasser zu trinken. Sie hörte nicht, wie er den Hörer auflegte, falls er überhaupt telefoniert hatte. Sie stand am Waschbecken und spürte plötzlich, dass er von hinten an sie herangetreten war.
    Sie war so erschrocken, dass ihr das Glas in die Spüle fiel und das Wasser auf die Arbeitsplatte
spritzte. Sie schrie auf, als er nach ihren Brüsten griff, und wich in die Ecke der Küche zurück.
    –
Was soll das?, fragte sie.
    –
Wollen wir uns nicht noch ein bisschen amüsieren?, fragte er und stand unbeweglich vor ihr, kräftig gebaut, mit starken Händen und dicken Fingern.
    –
Mach, dass du hinauskommst, sagte sie energisch. Auf der Stelle! Verschwinde auf der Stelle!
    –
Wollen wir uns nicht noch ein bisschen amüsieren?, wiederholte er. Er machte einen Schritt auf sie zu, und sie hob die Hände in Abwehr.
    –
Komm mir bloß nicht zu nahe!
schrie sie. Ich rufe die Polizei! Sie spürte auf einmal, wie hilflos sie gegenüber diesem unbekannten Mann war, den sie in ihre Wohnung gelassen hatte. Er stand jetzt dicht vor ihr, packte ihre Hände, drehte sie ihr auf den Rücken und versuchte, sie zu küssen.
    Sie kämpfte, aber das war vergeblich. Sie versuchte mit ihm zu reden. Ihn zur Vernunft zu bringen, aber sie spürte bloß, wie ihre Ohnmacht noch stärker wurde.
    Erlendur schrak auf, als ein riesengroßer LKW ihn anhupte und dröhnend überholte, wobei sich sintflutartige Wasserkaskaden über das Auto ergossen. Das Steuer schlug aus, und das Auto geriet ins Schlittern. Es zog ihm die Hinterreifen weg, und für einen Augenblick glaubte Erlendur, dass er die Kontrolle über den Wagen verlieren und sich in dem Lavafeld überschlagen würde. Er verlangsamte abrupt, und es gelang ihm, sich auf der Straße zu halten. Er überschüttete den Fahrer des Lastwagens, der in einer Gischtwolke verschwand, mit Beschimpfungen.
    Etwa zwanzig Minuten später fuhr er vor einem kleinen wellblechverkleideten Holzhaus im ältesten Teil von Keflavík vor. Es war weiß gestrichen und von einem niedrigen, weißen Zaun um einen sorgsam gepflegten Garten

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