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Nordermoor

Nordermoor

Titel: Nordermoor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indriðason
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du damals die ganzen Jahre mehr oder minder betrunken gewesen?«
    »Mehr oder weniger.«
    »Hast du dann die Zulassung wiederbekommen?«
    »Ja.«
    »Und seitdem ist nichts gewesen?«
    »Nein, seitdem ist nichts vorgefallen«, sagte der Arzt und schüttelte den Kopf. »Aber wie gesagt, ich war in keiner guten Verfassung, als ich die kleine Tochter von Kolbrún behandelte. Auður. Sie verspürte Schmerzen im Kopf, und ich war der Meinung, dass es sich um Kindermigräne handelte. Als die Schmerzen schlimmer wurden, gab ich ihr stärkere Schmerztabletten. Für mich liegt das alles wie im Nebel. Ich habe mich dafür entschieden, diese Zeit möglichst zu verdrängen. Alle machen Fehler, Ärzte auch.«
    »Was war die Todesursache?«
    »Es hätte wahrscheinlich keine Rolle gespielt, auch wenn ich schneller reagiert und sie ins Krankenhaus überwiesen hätte«, sagte der Arzt wie zu sich selbst. »Das habe ich mir jedenfalls eingeredet. Es gab damals nur wenige Kinderärzte, und von Computertomographie war noch keine Rede. Wir mussten uns zum größten Teil auf unser Gespür und unsere Kenntnisse verlassen, und wie ich schon sagte, hatte ich in diesen Jahren für fast nichts anderes Gespür als für Schnaps. Eine schlimme Scheidung hat die Sache auch nicht besser gemacht. Ich will mich nicht entschuldigen«, sagte er und blickte auf Erlendur, obwohl er ganz augenscheinlich dabei war.
    Erlendur nickte verständnisvoll.
    »Nach zwei Monaten, glaube ich, kam mir der Verdacht, dass hier etwas Schlimmeres als kindliche Migräne im Spiel war. Dem Mädchen ging es nicht besser, es gab keine Pausen zwischen den Anfällen, es ging ihr zusehends schlechter. Sie wurde immer weniger, fiel vom Fleisch. Das eine oder andere kam in Betracht. Ich dachte an so etwas wie akute Hirntuberkulose. Früher, als man im Grunde genommen keine Ahnung hatte, nannte man so etwas Kopfgrippe. Zum Schluss tippte ich auf Hirnhautentzündung, aber da fehlten einige Symptome, und da ist auch der Krankheitsverlauf wesentlich beschleunigter. Das Mädchen bekam so genannte Kaffeeflecken auf der Haut, und dann endlich zog ich einen Tumor in Betracht.«
    »Kaffeeflecken!«, sagte Erlendur und erinnerte sich, dass er das schon mal gehört hatte.
    »Die können eine Begleiterscheinung von Tumorerkrankungen sein.«
    »Du hast sie ins Krankenhaus nach Keflavík eingewiesen.«
    »Da ist sie gestorben«, sagte Frank. »Ich kann mich gut daran erinnern, wie sehr sich ihre Mutter ihren Tod zu Herzen genommen hat. Sie war wie von Sinnen. Wir mussten ihr Beruhigungsspritzen geben. Sie weigerte sich strikt, einer Obduktion zuzustimmen. Schrie uns an, dass sie das nicht zulassen würde.«
    »Aber sie wurde trotzdem obduziert.«
    Der Arzt zögerte.
    »Da führte kein Weg dran vorbei. Auf keinen Fall.«
    »Und was stellte sich heraus?«
    »Eine Tumorerkrankung, wie ich schon sagte.«
    »Was meinst du mit Tumorerkrankung?«
    »Ein Hirntumor«, sagte der Arzt. »Es war ein Hirntumor, der den Tod herbeiführte.«
    »Was für ein Hirntumor?«
    »Ich bin da nicht sehr bewandert«, sagte der Arzt. »Ich weiß nicht, ob das sehr genau untersucht wurde, es scheint mir aber doch wahrscheinlich. Ich meine, man hätte damals von einer Art Erbkrankheit gesprochen.«
    »Erbkrankheit!« Erlendur erhob die Stimme.
    »Ist das nicht ein Modewort? Genforschung und so. Aber was hat das alles mit dem Mord an Holberg zu tun?«, fragte der Arzt.
    Erlendur saß tief in Gedanken versunken und hörte nicht, was der Arzt sagte.
    »Warum fragst du mich nach diesem Mädchen?«
    »Ich träume«, sagte Erlendur.

Kapitel 16
    E va Lind war nicht in der Wohnung, als Erlendur am Abend nach Hause kam. Er versuchte, sich an ihren Rat zu halten und nicht zu viel darüber nachzudenken, wo sie hingegangen war oder wo sie sich aufhielt oder ob sie wiederkäme und in welchem Zustand sie sein würde, wenn. Er hatte aus einer Imbissstube ein paar Chicken-Nuggets für sie beide mitgebracht. Er warf die Tüte in einen Sessel und zog sich gerade den Mantel aus, als ihm ein altvertrauter Essensgeruch in die Nase stieg. Er hatte schon lange keine Gerüche aus der Küche wahrgenommen. Er ernährte sich von Gerichten, ähnlich dem, das auf dem Stuhl lag, Hamburger, Kantinenessen aus Múlakaffi, Fertigmahlzeiten aus den Supermärkten, kalte gekochte Schafsköpfe, Quark aus Bechern, geschmacksfreie Mikrowellengerichte. Er konnte sich nicht erinnern, wann er zuletzt in dieser Küche ein Essen für sich gekocht hatte. Er konnte

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