Norderney-Bunker
zweiten Mord innerhalb einer Woche gehört hatten.
Zudem hatten bereits gestern Nachmittag Radio und Fernsehen über die „rätselhafte Mordserie“, wie es ein Rundfunksender formulierte, berichtet. Mit fast ebenso großer Erschütterung nahmen die Insulaner eine Polizeimeldung zur Kenntnis, die ihnen die Angst endgültig und direkt unter die Haut trieb:
Mysteriöse Einbrüche auf der Insel
Diebe stehlen Lebensmittel, während Hausbesitzer schläft
Besonders dreist: Täter benutzen Dusche und Badewanne
Norderney/tre – Eine geheimnisvolle Einbruchserie versetzt zurzeit die Bürgerinnen und Bürger der Norderneyer Nordhelmsiedlung in Angst und Schrecken. Wie die Polizei gestern mitteilte, drangen in der Nacht zu Freitag Unbekannte in ein Einfamilienhaus an der Oderstraße ein. Während der Besitzer in seinem Schlafzimmer schlief, ließen die Diebe Lebensmittel und Getränke aus der Küche mitgehen. Zudem stahlen sie eine Mikro-Stereoanlage vom Typ Philips.
Besonders dreist verhielten sich Unbekannte, die vermutlich ebenfalls in der Nacht zum Freitag oder am Samstag in ein Haus Am Alten Schirrhof einbrachen. Aus der Wohnung eines Zweitwohnungsbesitzers, die einige Tage nicht benutzt worden war, stahlen die Einbrecher ebenfalls größere Mengen Lebensmittel und Getränke. Zudem entwendeten sie unter anderem Kleidungsstücke und Hygieneartikel.
Als besonders kaltschnäuzig bezeichnete die Polizei die Tatsache, dass der oder die Täter ein Duschbad nahmen und auch die Badewanne benutzten. Außerdem rauchten sie in der Wohnung. Ob es sich um ein und dieselben Täter handeln könnte, teilte die Polizei nicht mit. Ebenso steht noch die Frage im Raum, ob die Einbrüche in Zusammenhang mit den beiden in den vergangenen Tagen verübten Mordtaten auf der Insel stehen.
Morden, wo andere Urlaub machen
„Morden, wo andere Urlaub machen“ stand in fetten, schwarzen Lettern auf dem Plakat. Es war mit Panzerband an der gläsernen Eingangstür zum Norderneyer Thalasso-Badehaus befestigt, und zwar in Augenhöhe, sodass wirklich jeder Erwachsene, der das Schwimmbad betrat, es sehen musste. Als Fußnote hatten die Verfasser noch einen Satz ergänzt: „Viele Grüße an die Soko.“
Als der Kurdirektor davon erfuhr, platzte ihm der Kragen. Er lief zum Badehaus, überzeugte sich persönlich von der Existenz dieses Pamphlets, riss es ab, und lief damit ins Soko-Büro. Dort saß bereits der Bürgermeister, der Faust und Visser mit hochrotem Kopf anschrie und ihnen vom Vorfall der vergangenen Nacht erzählte:
„Meine Herren, die Stimmung ist nun auf dem Tiefpunkt. Gestern Abend haben in einer Kneipe zwei an und für sich überaus friedliche Norderneyer Ferienhausbesitzer einem Fernsehjournalisten vom Festland eine heftige Abreibung verpasst. Als ihm ein Kollege helfen wollte, bekam auch der sein Fett weg. Und zwar ordentlich.“
Faust und Visser sahen sich an. Der Bürgermeister schnaufte und fasste sich mit dem Zeigefinger an die Stirn. Dann erhob er wieder die Stimme: „Warum haben die beiden die Reporter wohl verprügelt? Ich gebe Ihnen die Antwort selbst. Weil wir es auf der Insel inzwischen leid sind, in den Medien nur noch mit Wortschöpfungen wie ,Mord-Insel‘, ,Indianer-Reservat‘ ,Tourismus-Schocker‘ und ,Killer-Leuchtturm‘ in Verbindung gebracht zu werden.“
Der Bürgermeister rang nach Luft und blickte mit großen Augen erregt Richtung Kurdirektor, der das Plakat vor seiner Brust ausgebreitet hatte.
„Genau das ist der Punkt“, sagte dieser. „Ich muss den Verfassern dieses Plakats zu hundert Prozent recht geben. Der Imageschaden für unsere Insel ist unermesslich. Die Telefone stehen nicht mehr still. Nicht nur in der Kurverwaltung, auch bei den privaten Vermietern. Die Gäste rufen an und wollen wissen, ob sie auf Norderney wieder buchen können oder ob es noch zu gefährlich sei.“ Nun rang auch der Kurdirektor nach Luft. Die blonden Locken fielen zerzaust über die Ohren, auf die Stirn war Schweiß getreten. Ein böser, schneidender Blick traf Faust, der sich vom Stuhl erhoben hatte und nun seinerseits das Wort ergreifen wollte. Doch dazu kam er nicht. Der Rathauschef kam ihm zuvor. Der war bis dahin in dem Gang zwischen den Schreibtischen mit den Händen auf dem Rücken und nach vorn gebeugt auf- und abgegangen und hatte – während der Kurdirektor sprach – permanent zustimmend genickt.
„Leute, so geht das nicht“, hob der Bürgermeister an. Die Insel ist voller Medienleute. Und
Weitere Kostenlose Bücher