Norderney-Bunker
der angeblich ein Indianer sein soll? Ich kann ja noch nachvollziehen, dass der ein gesteigertes Interesse daran hatte, Aden um die Ecke zu bringen, also einen waschechten Raubmord zu begehen. Aber was um alles in der Welt sollte den dazu bringen, ein paar Tage später zusätzlich eine Redakteurin zu erstechen.“
„Wobei ich mir zusätzlich auch die Frage stelle, wie bescheuert man sein muss, um mit jemandem gemeinsam – vermutlich auch noch mitten in der Nacht – auf den Norderneyer Leuchtturm zu steigen und den dort umzubringen.“
Visser biss sich auf die Unterlippe und atmete tief durch. „Das sind mir im Moment ein paar Fragezeichen zu viel. Ich finde keinen Ansatz. Der größte Witz ist, dass der Indianer vor dem Mord an Aden noch zusammengeschlagen wurde und ich ihn im Krankenhaus dazu befragt habe. Den hatte ich in der Zwischenzeit ganz vergessen!“
Faust schaute aus dem Fenster. Vor dem Conversationshaus eröffnete der Kurdirektor gerade das Norderneyer Weinfest, auf der anderen Seite des Kurplatzes, an der Ecke vor dem Inselraum, hielt der Fiat des Pizzabäckers.
„Wir müssen ganz von vorn anfangen und hoffen, dass wir über die Medien Hinweise kriegen. Das wird eine lange Nacht. Kannst dich schon mal zu Hause abmelden. Aber erst essen wir unsere Pizza“, sagte Faust dann und lief vor die Rathaustür, wo er die dampfenden Pappkartons in Empfang nahm.
Das Kartenspiel hatte Lübbert bereits beim ersten Einbruch in der Oderstraße mitgehen lassen, während er und Winnetou am Morgen gemeinsam überlegt hatten, wie viel Geld sie aus dem in der Luxuswohnung am Schirrhof noch vorhandenen Portemonnaie „leihen“ sollten. Schließlich hatten sie sich fest vorgenommen, am Abend zum Weinfest zu gehen, um sich für ein paar Stunden von der Enge des Bunkers zu befreien und etwas Zerstreuung zu erfahren. Rasch hatten sie sich dann auf zehn Euro in Münzen geeinigt. Die würden für zwei Packungen Zigaretten reichen. Außerdem ließen sie zwei 20-Euro-Scheine mitgehen. Davon könnten sie sich einige Gläser Wein gönnen sowie eine Kleinigkeit zu essen.
„Uns fehlt der dritte Mann. Sonst hätten wir einen schönen Skat dreschen können“, sagte Lübbert, als er am Abend im pikobello aufgeräumten Bunker die Karten zum Mau-Mau verteilte.
„Stimmt“, antwortete Winnetou, der die Haare mit Blick auf den bevorstehenden Weinfestbesuch bereits zum Zopf gebunden und ein funkelnagelneues Basecap mit Norderney-Signet aufgesetzt hatte. Der Aufforderung Lübberts, sich von ihm die Haare schneiden zu lassen, war Winnetou nicht nachgekommen.
„Da lasse ich keinen ran. Nur über meine Leiche“, hatte der Apache gewettert und Lübbert mit einem zornigen Blick bestraft.
„Ja, ein dritter Mann wäre nicht schlecht“, antwortete Winnetou.
Er nippte am Sektbecher und flachste: „Geh’ doch mal raus in die Siedlung und klopfe bei den Nachbarn an die Tür. Irgendjemand hat bestimmt Lust auf eine Partie Bunker-Skat.“
Lübbert nahm sein Handy: „Schon nach zehn und draußen wird es bald dunkel. Komm, lass uns gehen. Mir fällt die Decke auf den Kopf.“
„Das Gewölbe meinst du“, entgegnete Winnetou und grinste.
Dann überprüften sie noch rasch die Kleiderordnung und fanden, dass ihnen die neuen Schuhe und die Sommerhemden ganz hervorragend standen. Besonders Lübbert fühlte sich mit dem schwarzen Stetson pudelwohl, sodass der neue Hut und der mittlerweile bemerkenswert gewachsene Oberlippenbart mit Sicherheit dafür sorgen würden, nicht erkannt zu werden.
Den Fußmarsch von der Nordhelmsiedlung zum Kurplatz hatten die beiden unterschätzt. Die Strecke zog sich wie Kaugummi. Dafür genossen sie den milden Wind, der sie nach dem Verlassen der Siedlung in Höhe des Café Cornelius empfing, und den Blick über das Meer, das leise rauschte und innere Ruhe verhieß.
„Was ist das da hinten?“, fragte Winnteou, als sie in Höhe der Minigolfanlage am Januskopf standen und die Blicke über die Nordsee schweifen ließen.
„Was meinst du?“
„Da brennt Licht. Da scheinen Häuser zu sein. Ich dachte immer, das ist eine Sandbank oder so etwas.“
„Du verrückter Hund.“ Lübbert brach in gellendes Gelächter aus. „Das ist Juist. Du wirst es nicht glauben: Da leben tatsächlich Menschen und es gibt dort Strom und fließend Wasser.“
„Warum lachst du?“, wollte Winnetou wissen.
„Weil die Norderneyer und die Juister sich immer gegenseitig aufziehen. Das ist im Prinzip wie mit Köln und
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