Norderney-Bunker
Düsseldorf und Hamburg und Bremen. Von daher würdest du bei den Norderneyern wirklich gut ankommen, wenn du Juist als Sandbank bezeichnen würdest.“
„Siehst du, ich fühle mich hier schon ein wenig heimisch“, sagte Winnetou.
Sie brauchten knapp eine halbe Stunde, bis sie die Norderneyer Weinmeile erreicht hatten. Allerdings hatte sich der Weg tatsächlich gelohnt. Die Stimmung war hervorragend. An den einzelnen Ständen herrschte immer Hochbetrieb, fast alle Stühle und Bänke waren trotz der späten Stunde noch besetzt. Durch die Reihen der zahlreichen Gäste schlenderte ein deutlich untersetzter Mann mit schütterem Haar. Er spielte Schifferklavier und sang aus voller Brust. Der Barde mit dem Vollbart und den breiten Schultern brachte Heiteres und Nachdenkliches von der Küste und den Inseln zu Gehör und man merkte ihm an, dass er seinen Job mit großer Leidenschaft ausübte. Als der singende Albertus lächelnd und mit sehnsuchtsvollem Blick am Tisch der Weinkönigin angelangt war, prosteten sich Winnetou und Lübbert mit ihren Merlots zu und befanden, dass sie die perfekt richtige Wahl für ihr heutiges Freizeitvergnügen getroffen hatten.
Lübbert schaute sich um und zündete sich eine Zigarette an, fasste das Weinglas dezent am Stiel, prostete Winnetou erneut zu und sagte:
„Dir zum Wohle, mir zum Nutzen, woll’ n wir das Getränk verputzen.“
Lübbert lachte so laut, dass die Umstehenden auf ihn aufmerksam wurden.
Nach dem dritten Merlot scherte ihn das allerdings nicht die Bohne. An dem Stehtisch direkt vor dem Rathauseingang hatten sie einen günstigen Platz gefunden. Von dort aus konnten sie das muntere Geschehen beobachten. Winnetou schaute sich um.
„Sie dir das mal an. Im Rathaus wird um diese Zeit noch gearbeitet“, sagte er und zeigte auf die Fenster, hinter denen noch Licht brannte und wo die Schatten zweier Männer zu sehen waren, die sich scheinbar angeregt unterhielten.“
„Sicher planen die Leute von der Stadt und der Kurverwaltung schon das nächste Weinfest und überlegen gerade, ob sie uns beim nächsten Mal nicht als Ehrengäste einladen sollen“, johlte Lübbert und schlug Winnetou dabei so fest auf die Schulter, dass der zuckte.
Als eines der Rathausfenster, hinter dem noch Licht brannte, geöffnet wurde und ein Mann mit kahl rasiertem Schädel herausschaute, winkte Lübbert ihm zu und rief: „Leute, macht Feierabend. Was ihr da jetzt um diese Zeit noch fabriziert, bringt sowieso nichts.“
„Halt’ s Maul, Cowboy, sonst schieße ich dir den Hut vom Kopf", rief Faust und schloss das Fenster krachend.
Lübbert drehte sich um, zog den Stetson in die Stirn und sagte: „Meine Güte, hat der ’ne Laune.“
Er hatte diesen Satz gerade zu Ende gesprochen, da spürte er eine Hand auf der Schulter. Dass Winnetou dies nicht sein konnte, realisierte er trotz seines angetrunkenen Zustands sofort. Der Apache nämlich befand sich ein paar Meter weiter an einem Stand, an dem es Käse, Oliven und Dinkelbrot gab.
„Bist ja aber gut drauf heute, Tammo!“, sagte die junge Frau. „So lustig habe ich dich schon lange nicht mehr gesehen.“
Lübbert fuhr zusammen. Schlagartig wurde ihm klar, dass er sich viel zu auffällig benahm und mit dem Feuer spielte. Er schaute der Frau, die einen Kopf kleiner war als er, fragend in die Augen. Sagen konnte er in diesem Moment nichts.
„Oh“, übernahm die Frau wieder das Wort. „Sie sind ja gar nicht Tammo.“
„Nein, ich heiße Lü…, Bernd Lüdenscheid. Das muss wohl eine Verwechslung sein“, stammelte Lübbert. Die Frau musterte ihn von oben bis unten.
„Entschuldigung. Tut mir leid. Ja. Bei genauem Betrachten sieht Tammo wirklich anders aus. Nur, dass er genau so einen Hut hat und ein solches Hemd. Was für ein Zufall“, fügte sie hinzu, lächelte Lübbert an und hielt ihm ihr Weinglas zum Anstoßen hin.
„Prost“, sagte Lübbert. Er trank einen Schluck und stellte sein Glas auf einem der Stehtische ab. Dann ging er mit hochrotem Kopf Winnetou entgegen. Er nahm ihn rasch bei der Schulter und sagte: „Komm’, lass uns gehen. Die Sache wird mir jetzt zu heiß hier.“
Die Tageszeitungen auf der Insel waren am anderen Morgen innerhalb weniger Stunden komplett vergriffen. Erwartungsgemäß machten sich die Einheimischen, die kein Abonnement besaßen, in Supermärkten und in diversen kleineren Geschäften über die lokalen Blätter her. Das galt gleichermaßen für die Feriengäste, die von ihren Vermietern vom
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