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Nordmord

Titel: Nordmord Kostenlos Bücher Online Lesen
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noch mit Tom
beschäftigen, aber ein bisschen mehr Zeit würde ich schon gerne mit ihr
verbringen. Ich glaube, ich rufe sie eben mal an und versuche, sie zu einem
Treffen zu überreden. Hier soll es ja ein paar schnucklige Kneipen geben, das
wäre doch mal wieder was!

     
    Dirk Thamsen lehnte sich zurück und blätterte
weiter.

     
    05.01.1996

    War heute Abend mit Marlene beim Chinesen. Sie wollte
allerdings nach dem Essen ziemlich bald nach Hause. Schade, wäre gerne mal ein
wenig zum Tanzen gegangen, aber alleine hatte ich auch keine Lust. Trotzdem war
es sehr nett, mal wieder mit ihr zu plaudern. Fast wie in alten Zeiten, außer
dass natürlich beinahe jedes zweite Wort TOM lautete. Ich hoffe nur, sie
verrennt sich da nicht in etwas. Aber mit zu ihren Eltern wollte sie ihn morgen
nicht nehmen. Wahrscheinlich wieder ihr altes Problem.

    In der Klinik wird es jeden Tag schlimmer. Der Professor
halst mir so viel Arbeit auf, ich weiß gar nicht, wie ich das alles schaffen
soll. Heute habe ich es kaum zur Verabredung mit Marlene geschafft, weil die
Visite erst so spät anfing und ich bei einem Patienten noch einen Zugang legen
musste. Aber Voronin interessiert das überhaupt nicht. Man sieht ihn kaum auf
der Station. Frage mich, was der wohl den ganzen Tag macht. Zum Glück sind die
Schwestern eine riesige Hilfe und wirklich supernett. Haben zurzeit einen
kleinen Jungen, der wirklich dringend auf eine Spenderniere wartet. Die Niere,
welche sein Vater ihm vor ein paar Monaten gespendet hat, wurde leider
abgestoßen. Seitdem muss er wieder zur Dialyse. Aber das mit der Spenderniere
kann dauern. Leider haben immer noch zu wenige Menschen einen Spenderausweis.
Und gerade bei Kindern ist es schwierig. Aber er schlägt sich tapfer und so oft
es geht, besuche ich ihn. Das sind dann die schönen Momente in meinem Job, wenn
man auch mal ein bisschen Zeit für die Patienten hat, so wirklich. Das Lächeln
dieses kleinen Jungen, wenn ich sein Zimmer betrete, entlohnt mich echt für den
Stress, den Voronin mir macht. Und wer weiß, vielleicht findet sich ja doch
schneller ein Spenderorgan, als wir denken. Die Schwestern haben mir erzählt,
dass einige Patienten in der Klinik schon mal Glück gehabt haben und innerhalb
kurzer Zeit eine Transplantation bekommen haben. Also, mal sehen.

     
    Langsam schien sich ein Bild von Heike Andresen
zu formen. Bisher hatte er immer nur von anderen gehört, wie sie gewesen war.
Freunde, Arbeitskollegen, Professor Voronin. Auch wenn die Kollegen keine
bahnbrechenden Erkenntnisse für den Fall gewonnen hatten, ermöglichte ihm das
Tagebuch einen Blick in das Leben der Ermordeten aus einer ganz anderen
Perspektive. Natürlich waren solche Aufzeichnungen sehr persönlich und
besonders die Passagen über Marlene Schumann berührten ihn. Zumal er auch Tom
Meissner kannte. Immerhin wusste er, was ihre beste Freundin so über sie und
ihre Beziehung zu ihm gedacht und ihr gegenüber vielleicht nie persönlich
geäußert hatte.
    Er selbst hatte nie Tagebuch geführt, fand aber Menschen
faszinierend, die es taten. Er hätte auch gar nicht gewusst, was er schreiben
sollte. Zum einen fehlte ihm die nötige Ruhe, zum anderen schreckte er vor dem
Gedanken zurück, sich mit sich selbst und seinem Leben zu beschäftigen: nicht
nur mit seinem Job, sondern auch mit seiner gescheiterten Ehe, seinem
distanzierten Verhältnis zu seinem Vater, eben einfach mit der Person Dirk
Thamsen, Polizeihauptkommissar, 43 Jahre alt, geschieden, zwei Kinder.
    In Gedanken bildete er einen ersten Satz: › Liebes
Tagebuch, heute habe ich mir eingestanden, dass ich unglücklich bin.‹
    Plötzlich wurde die Tür zu seinem Büro geöffnet und hinderte
ihn daran, seinen Tagebucheintrag weiterzudenken.
    »Hier sind endlich die Ergebnisse der Handschuhe. Die Spusi
hat Hautpartikel gefunden.«
    »Und?«
    Der Kollege legte den Umschlag mit den Ergebnissen auf seinen
Schreibtisch und zuckte mit den Schultern.
    »Schwierig, wenn wir keine Vergleichs-DNA haben.«

     
    Der Abend war lang geworden. Sie hatten zusammen
zu Abend gegessen und Marlenes Eltern hatten ihn eine Menge gefragt. Was er
denn studiert hatte? Wo er jetzt arbeite? Für welche Firmen?
    Er hatte versucht,
möglichst freundlich darauf zu antworten. Besonders herzlich war die
Unterhaltung trotzdem nicht verlaufen. Marlene war es peinlich gewesen, aber
sie hatte nichts gesagt. Sie verhielt sich sehr zurückhaltend und

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