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Nordmord

Titel: Nordmord Kostenlos Bücher Online Lesen
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Zeit der Herbststürme. Er liebte diese
Jahreszeit. Sie erinnerte ihn an seine Kindheit. An die dunklen Abende, wenn er
bei Onkel Hannes in der Küche gesessen und den Sturm ums Haus hatte heulen
hören. Dabei hatte er gerne in dem dicken blauen Buch mit den friesischen
Märchen und Sagen gelesen. Besonders an die Geschichte Rungholts erinnerte er
sich gut. Die Sage um den Untergang der Insel war hier immer noch präsent.
Selbst heutzutage hörte man einigen Leuten zufolge das Läuten der
Kirchturmglocken Rungholts vor einer drohenden Sturmflut. War doch die Insel
Opfer einer solchen geworden. Der Sage nach hatte der Prediger der Insel den
Allmächtigen angerufen und um eine Strafe für das gottlose Volk gebeten.
Daraufhin hatte sich ein Wind erhoben, der das Wasser vier Ellen hoch über die
Deiche steigen ließ, sodass die Insel unterging.
    »Tom, wir sollten umkehren. Ich habe keine Lust, nasse Füße
zu bekommen!«
    Der Wind peitschte das Wasser immer näher an die Steilküste.
Er blickte zurück, sah, dass sie bereits jetzt Schwierigkeiten haben würden,
trockenen Fußes zurückzukommen, und stimmte zu. Geschoben von dem kräftigen
Wind legten sie die Strecke beinahe doppelt so schnell zurück.
    Auf dem Rückweg kauften sie noch in einem Supermarkt an der
Grenze ein. Marlene legte Käse, Milch und frisches Obst in den Wagen, welchen
Tom durch die schmalen Gänge schob.
    »Was wollen wir am Wochenende essen?«
    Sie entschlossen sich für Lamm. Während er an der
Fleischtheke anstand, holte sie die restlichen Zutaten. Sie befand sich gerade
vor dem Regal mit den Gewürzen, als sie im Augenwinkel einen hellen Mantel
wahrnahm. Blitzschnell drehte sie sich zur Seite, doch der helle Trenchcoat war
bereits verschwunden. Sie stellte die Dose mit dem Rosmarin zurück und suchte
die Gänge ab. Jedes Mal, wenn sie wieder erfolglos zwischen zwei Borde mit
Lebensmittelkonserven oder Toilettenartikeln schaute, wurde die Angst in ihr
größer, sie hätte sich den hellen Mantel nur eingebildet. Endlich sah sie ihn
in der Schlange vor der Kasse stehen.
    »Hallo, Entschuldigung?«
    Sie schlängelte sich zwischen den Einkaufswagen der anderen
Kunden hindurch. Als sie dem Mann ihre Hand auf die Schulter legte und er sich
umdrehte, breitete sich eine tiefe Enttäuschung in ihr aus. Es war nicht der
unbekannte Trauergast vom Friedhof, sondern ein wesentlich jüngerer, fast
asiatisch wirkender Mann.
    Sie stand wie benommen mitten in der Schlange und starrte ihn
an, als Tom mit dem Einkaufswagen auf die Kasse zusteuerte. Er erfasste sofort
die Situation, zog sie am Arm zur Seite und entschuldigte sich bei dem jungen
Mann.
    »Tut mir leid, sie hat Sie verwechselt.«
    Nach einer Weile hatte sie sich wieder gefasst.
    »Ich habe nur diesen Mantel gesehen«, versuchte sie, ihr
Verhalten zu erklären.
    Sie braucht dringend etwas Ruhe, dachte er und schlug vor,
die Verabredung mit Haie am Abend abzusagen.
    »Aber wieso denn? Mir geht es gut. Ich will nur, dass der
Mörder von Heike endlich gefasst wird! Und wenn es nötig ist, dann begebe ich
mich selbst auf Mörderjagd!«
    Mit entschlossenem Blick schaute sie ihn an. Es war ihr ernst
damit und so, wie er sie kannte, würde nichts und niemand sie aufhalten können.

     
    Haie fuhr nach der Arbeit noch schnell zum
SPAR-Laden, um ein paar Besorgungen für das Abendessen zu tätigen. Vor dem
kleinen Supermarkt stand eine Gruppe Frauen, die sich lautstark unterhielten.
Als sie Haie sahen, warfen sie ihm verächtliche Blicke zu. Er wusste auch,
warum. Die meisten der Anwesenden waren Freundinnen von Elke aus dem
Landfrauenverein. Bestimmt hatte sie ihnen brühwarm erzählt, dass er ihr nicht
zur Hilfe gekommen war, als der angebliche Serienmörder um ihr Haus geschlichen
war. Er grüßte flüchtig und betrat den Laden. Am Obst- und Gemüsestand traf er
Bernd.
    »Was machen die denn da draußen?«
    Der Mann, der Heikes Leiche gefunden hatte, zuckte mit den
Schultern.
    »Glaube, die wollen so eine Art Bürgerwehr organisieren.«
    Bürgerwehr? War denn nach dem Mord schon wieder etwas
vorgefallen? Doch Bernd winkte nur abfällig und erzählte, dass einige von denen
behaupteten, nachts finstere Gestalten gesehen zu haben.
    »Wenn du mich fragst, ist der Mörder schon über alle Berge!
Das haben die doch nur erfunden. Weißt ja, wie die Fruunslütt manchmal sind!«
    Haie nickte. Dass der
Täter allerdings wirklich schon über alle Berge war, bezweifelte

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