Nordmord
nicht allein. Zwei komische Typen standen vor
seinem Schreibtisch. Keine Ahnung, was die gewollt haben. Sahen auf jeden Fall
nicht besonders freundlich aus. Ich wollte mich schnell entschuldigen, aber
Voronin rief, ich solle ruhig bleiben. Einer der Männer hat noch etwas zum
Professor gesagt. Klang wie Russisch oder so. Dann sind sie abgerauscht.
Eigentlich hatte ich erwartet, dass Voronin mich noch anmachen würde, weil ich
einfach so hereingeplatzt bin, aber er sagte gar nichts, wirkte nur
erleichtert. Ohne zu fragen, hat er alle Krankenblätter unterschrieben. Ich
frage mich, was das wohl für Männer waren.
Das interessierte Kommissar Thamsen ebenfalls.
Er nahm seine Jacke, die über dem Schreibtischstuhl hing, und ging hinüber zum
Krankenhaus.
»Professor Voronin ist nicht da. Kann ich Ihnen
weiterhelfen?«
Die Schwester blickte ihn
freundlich an. Er überlegte, wie er ihr wohl am ehesten ein paar Informationen
über den Chef der Station entlocken konnte. Dass der Professor bei den
Schwestern nicht besonders beliebt war, wusste er bereits aus Heikes
Aufzeichnungen, wie aber brachte man jemanden dazu, die Gründe dafür
preiszugeben?
»Kann ich auf ihn warten?«
Sie bot ihm an, im Schwesternzimmer Platz zu nehmen.
»Möchten Sie vielleicht einen Kaffee oder Tee?«
Er nickte dankbar und kurz darauf kehrte sie mit zwei Tassen
Kaffee zurück. Es schien, als hätte sie Pause und wollte ihm ein wenig
Gesellschaft leisten. Schnell erwies sich jedoch, dass sie nur neugierig war.
Sie stellte ihm pausenlos Fragen über den Stand der Ermittlungen, ob die
Polizei schon einen Verdächtigen habe und was denn wohl das Tatmotiv gewesen
sei. Den meisten Fragen wich er mit dem Hinweis, dass er darüber keine Auskunft
erteilen dürfe, geschickt aus. Sie nickte verständnisvoll.
»Und was wollen Sie von dem Professor?«
Er rückte ein Stück näher
zu ihr heran und flüsterte:
»Ich habe gehört, dass er hin und wieder unangenehmen Besuch
bekommt.«
Die Schwester blickte ihn durchdringend an. Scheinbar wusste
sie, von wem er sprach. Sie erzählte ihm, dass sie erst vor wenigen Tagen zwei
Männer gesehen habe. Laut sei es im Zimmer des Professors geworden. Nicht, dass
sie lauschen würde, aber man hatte die Stimmen bis in den Flur hören können.
»Worüber haben sie denn mit Professor Voronin gestritten?«
Sie zuckte mit den Schultern.
»Wissen Sie, der Professor ist nicht besonders beliebt. Da
wird es schon mal laut in dem Zimmer.«
Wieso Voronin denn nicht so beliebt sei? Sie seufzte und
lehnte sich in ihrem Stuhl zurück.
»Er ist schwierig«, antwortete sie dann.
Thamsen blickte sie fragend an und sie erzählte, dass man den
Chef an manchen Tagen gar nicht ertragen könne. Da sei er unberechenbar. Von
einer Minute auf die andere könne seine Stimmung umschlagen.
»Er bekommt häufig Wutausbrüche und schreit das Personal an«,
meinte sie ziemlich erregt. »Manchmal haben auch die Patienten darunter zu
leiden. Ich vermute, er hat private Probleme, aber etwas Genaues weiß ich
nicht. Keiner kennt den Professor wirklich. Er hat angeblich im Ausland
hervorragende Arbeit auf dem Gebiet der Nephrologie geleistet.«
»Nephrologie?«
»Ein Teilgebiet der Inneren, welches sich mit der Diagnostik
und der nichtchirurgischen Therapie von Nierenerkrankungen befasst.«
Die Schwester wusste nicht einmal, ob er verheiratet war oder
Kinder hatte. Außer diesen Männern hatte sie nie jemanden bei ihm gesehen.
»Kennen Sie eigentlich Carsten Schmidt?«
Sie nickte. Zu den Patienten dürfe sie allerdings nichts
sagen. Das müsse er verstehen. Die Schweigepflicht gelte auch für sie.
»Nur noch eine Frage. Können Sie sich an den kleinen Jungen
erinnern, der dieses Jahr dringend auf eine Spenderniere gewartet hat? Andreas
hieß er, glaube ich. Frau Andresen hatte ein besonderes Verhältnis zu ihm.«
Wieder nickte sie und er zog das Foto des kleinen Jungen aus
seiner Jackentasche.
»Ist das der Junge?«
Sie warf einen flüchtigen Blick auf das Foto.
»Nein, Andreas hatte blondes Haar.«
»Wieso hatte?«
Sie senkte den Blick.
»Weil er es nicht geschafft hat. Andreas ist im September
gestorben.«
25
Der Wind war noch kräftiger geworden. Marlene
schätzte ihn inzwischen auf mindestens Windstärke sieben. Es schien sich ein
Sturm anzukündigen. Sie riet Tom umzukehren, doch er kämpfte beharrlich weiter
gegen die zum Teil stürmischen Böen an.
Es war nun mal die
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