Nordwind: Kriminalroman (German Edition)
müssen wir selbstverständlich in irgendein legendäres Restaurant gehen, zu dem man eine Stunde mit dem Taxi fährt. Großartig, anstatt die Kosten etwas geringer zur halten und mir etwas mehr zu bezahlen.«
»Du scheinst aber keine Not zu leiden«, sagte Malin.
Henrik kicherte. »Nein, Quatsch, aber es ist vollkommen verrückt. Ich werde nie aufhören, mich über diese Geschäftsleute zu wundern.«
»Bereust du es?«
»Bereuen? Nein. Wie meinst du das?«
Ja, wie meinte sie das? Bereute er die Entscheidung für Fårö? Für sie? Die Kinder. Dass er sich gegen seinen Traum beziehungsweise für einen anderen entschieden hatte, oder wie man das ausdrücken sollte. Gegen all das, wofür das Bild von ihm, diesem halb nackten Fotomodell und der schäbigen Elvis-Kopie stand?
Die Fotos im Negativschrank hatte sie nicht angesprochen. Auch den Vorfall auf dem Parkplatz von Ica hatte sie nicht erwähnt.
Fredrik Broman hatte am folgenden Tag angerufen, um ihr mitzuteilen, dass Stina Hansson Anzeige erstattet hatte. Wegen Bedrohung und Gefährdung im Verkehr. Das ließ sich nicht bestreiten. Er sei nicht mit dieser Sache betraut, hatte Fredrik erklärt, rate ihr aber, den Vorfall vor der Schule ihnen zu überlassen und sich so weit wie möglich von der eventuell Verdächtigen fernzuhalten. Malin hatte gefragt, ob er Näheres über Stina Hanssons Anzeige wisse, aber er hatte nur gesagt, dass man sie zum Verhör einbestellen würde.
Es gab mindestens einen Zeugen, das konnte sie sich denken. Auf dem Parkplatz waren Leute gewesen. Natürlich würden sie, egal was passiert war, zum Vorteil der Einheimischen aussagen. Scheiß Bananenrepublik. Zum Glück stammten nicht alle Polizisten, die in Ellens Fall ermittelten, aus Gotland, denn sonst wäre sie wirklich paranoid geworden.
Sie griff nach dem Glas und nahm einen großen Schluck. Sie hätte Henrik davon erzählen sollen. Sie versuchte sich einzureden, dass dafür keine Zeit gewesen sei, aber das stimmte nicht.
»Was ist los?«, fragte Henrik.
Malin nahm ihr Mobiltelefon in die Hand.
»Ich rufe kurz Maria an.«
»Schon wieder?«
»Ich will nur hören, ob alles in Ordnung ist.«
Sie hatte bereits während der Fahrt nach Visby angerufen, aber seitdem war sicher eine Stunde vergangen.
Diesmal ging sie nicht ans Telefon. Schließlich sprang die Mailbox an.
»Seltsam«, sagte Malin, »sie meldet sich nicht.«
»Vielleicht sitzt sie auf dem Topf«, meinte Henrik. »Versuch es in fünf Minuten noch mal.«
»Ich probiere es auf dem Festnetz.«
Er erwiderte nichts, aber sie wusste auch so, was er dachte. Auch beim Hausanschluss meldete sich niemand.
»Bestimmt sind sie draußen.«
»Es ist doch schon fast dunkel.«
»Entspann dich, Malin«, bat er sie. »Und ruf etwas später wieder an.«
Sie holte tief Luft und legte das Handy auf den Tisch.
»Du hast recht, aber …«
»Ich verstehe ja, dass es stressig ist«, sagte er. »Mich stresst es auch. Aber wir müssen uns zusammenreißen. Sonst macht uns diese Sache am Ende noch verrückt. Den Kindern tut es auch nicht gut, wenn wir uns ständig aufregen.«
»Ich weiß, ich weiß.« Sie bemerkte, dass ihre Stimme leicht heiser klang. »Ich versuche es in zehn Minuten noch einmal. Oder in einer Viertelstunde.«
Sie spießte ein Stück Rote Bete auf ihre Gabel und kaute es bedächtig. Aber sie hatte den Appetit verloren.
Henrik griff in die Innentasche seiner Jacke, die er über den Stuhl neben sich gehängt hatte.
»Guck mal.« Er grinste breit und hielt ihr ein weißes Plastikkärtchen hin.
Malin begriff nicht. Es sah aus wie ein Mitgliedsausweis. Erst als Henrik ihr die Karte reichte, erkannte sie das Logo des Hotel Wisby. Ein Zimmerschlüssel.
»Know what I mean, know what I mean«, lächelte Henrik.
Sie fühlte sich geschmeichelt und freute sich und spürte sogar eine leichte Erregung. Aber sie war auch besorgt. »Was? Bleiben wir etwa über Nacht?«
Sie sah sofort, dass dies nicht direkt die Reaktion war, die Henrik sich erhofft hatte, aber er bemühte sich, fröhlich zu bleiben.
»Nicht unbedingt. Ein paar Stunden würden mir reichen.«
»Gut.« Sie versuchte, aufreizend zu klingen, aber sie konnte nur an die zehn Minuten denken, die sie bis zum nächsten Anruf noch warten wollte.
Irgendwie schaffte sie es, einen Großteil der Vorspeise aufzuessen. Die Kellnerin räumte ab und brachte ihr ein Glas Rotwein und für Henrik ein Ramlösa-Wasser.
Mittlerweile waren zwölf Minuten vergangen. Sie war tapfer
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